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Sein Blut soll fließen: Thriller (German Edition)

Sein Blut soll fließen: Thriller (German Edition)

Titel: Sein Blut soll fließen: Thriller (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ian Rankin
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geschüttet, aber jetzt rissen die Wolken langsam auf und gaben Strahlen von Frühabendlicht frei. Reeve war nicht der Einzige, der hier den Zug verließ, und er musterte seine Mitaussteiger. Sie sahen müde aus – von Tisbury nach London und zurück war eine verflucht lange Strecke für Pendler – und hatten nur Augen für den bevorstehenden Fußweg, sei es zum Parkplatz, sei es direkt nach Haus.
    Joshua Vincent stand vor dem Bahnhof mit den Händen in den Taschen seiner Barbour-Jacke. Er identifizierte Reeve sofort; nur er sah so aus, als wüsste er nicht recht, wohin er sich wenden sollte.
    Reeve hatte ein Landei erwartet – groß und kräftig, mit wettergegerbten Wangen oder vielleicht einem struppigen Bart zum windzerzausten Haar. Doch Vincent war zwar groß, aber spargeldünn, glatt rasiert und trug eine Brille mit runden, blitzenden Gläsern. Sein helles Haar war sehr schütter; mehr Kopfhaut als Bewuchs. Er war blass und zurückhaltend und hätte für einen achtzehnjährigen Klassenprimus durchgehen können. Er beobachtete die herauskommenden Pendler.
    »Mr. Reeve?«
    Sie gaben sich die Hand. Vincent wollte warten, bis alle Pendler verschwunden wären.
    »Wollen Sie sichergehen, dass mir keiner gefolgt ist?«, fragte Reeve.
    Vincent zeigte ein schmales Lächeln. »Fremde sind an diesem Bahnhof leicht auszumachen. Sehen einfach fehl am Platz aus. Tut mir entsetzlich leid wegen Jim.« Sein Ton klang aufrichtig, nicht so gekünstelt wie bei Giles Gulliver, und deswegen umso bewegender. »Wie ist es passiert?«
    Während sie zum Wagen gingen, fing Reeve mit seiner Geschichte an. Durch das mehrmalige Erzählen hatte er gelernt, sie zu straffen, sich an Fakten zu halten und keine Schlüsse zu ziehen. Der Wagen war ein Subaru 4x4. Reeve hatte das Modell in den West Highlands schon häufig gesehen. Er redete weiter, als sie losfuhren und Tisbury hinter sich ließen. Die Landschaft war wellig und unregelmäßig bewaldet. Sie scheuchten Krähen und Elstern von der schlecht asphaltierten Fahrbahn auf und rollten dann über das schon plattgefahrene Kleingetier, das die Vögel angelockt hatte.
    Vincent unterbrach ihn kein einziges Mal. Und als Reeve fertig war, fuhren sie schweigend weiter, bis ihm noch ein paar Dinge einfielen, die er seiner Erzählung hinzufügen konnte.
    Gerade als ihm nichts mehr einfiel, bogen sie von der Straße ab und rumpelten einen von Landmaschinen zerfurchten, unbefestigten Feldweg entlang. Reeve sah den Bauernhof auftauchen: eine schlichte, U-förmige Konstruktion, um die sich ein paar freistehende Wirtschaftsgebäude gruppierten. Bei ihm zu Hause sah es auch nicht viel anders aus.
    Vincent parkte auf dem Hof. Mit einem knappen Befehl schickte er einen nicht angeketteten, kläffenden Schäferhund zu seiner Hütte zurück. Ein einsames Lamm sprang, nach Futter meckernd, auf Reeve zu. Er hatte die Autotür geöffnet, war aber noch nicht ausgestiegen.
    »Ich würde an Ihrer Stelle erst mal die Stiefel anziehen«, riet ihm Vincent. Also öffnete Reeve die Reisetasche, die er mitgenommen hatte. Darin befanden sich Jims vollständige Notizen und dazu ein Paar neue schwarze Gummistiefel, die er in einem Army-Laden in der Nähe der Station Finsbury Park gekauft hatte. Er zog die Schuhe aus und ließ sie im Auto liegen, dann schlüpfte er in die Stiefel. Als er die Beine nach draußen schwenkte, landeten seine Füße in handtiefem Schlamm.
    »Danke für den Tipp«, sagte er und schlug die Tür hinter sich zu. »Wohnen Sie hier?«
    »Nein, ich komme nur gelegentlich her.« Eine junge Frau spähte durchs Küchenfenster zu ihnen hinaus. Vincent winkte ihr zu, und sie winkte zurück. »Kommen Sie«, sagte er, »gehen wir ein bisschen frische Luft schnappen.«
    In der vom Haus am weitesten entfernten, großen Scheune machten sich zwei Männer gerade daran, ein paar Dutzend Kühe mit durchsichtigen Plastikschläuchen an eine Melkmaschine anzuschließen. Die Euter der Kühe waren so geschwollen, dass man die Adern sehen konnte, klagende Laute erfüllten die Luft. Vincent grüßte die Männer, stellte sie aber nicht vor. Gerade als Reeve vorbeiging, setzte sich die Melkmaschine rüttelnd in Betrieb. Die zwei Männer schenkten ihm keinerlei Beachtung.
    Als sie den Melkschuppen passiert hatten, erreichten sie eine Mauer, hinter der dunkle Felder lagen, auf denen sich in der Ferne schwarze Bäume abzeichneten.
    »Und?«, sagte Reeve. Er verlor allmählich die Geduld.
    Vincent wandte sich ihm zu. »Ich glaube,

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