Sein Blut soll fließen: Thriller (German Edition)
Aber die Landschaft sah jetzt nur noch menschenleerer aus. Sie bogen in einen Feldweg ein und erreichten ein hohes Tor aus Maschendraht, dessen Oberkante mit Natodraht besetzt war. Ein ebenso hoher und ebenso gesicherter Zaun zog sich nach beiden Seiten unabsehbar hin. Am Tor waren im Licht der Autoscheinwerfer Warnschilder zu erkennen, aber nichts verriet, was sich hinter Zaun und Natodraht konkret verbarg.
Als Reeve nach Vincent aus dem Subaru ausstieg, schlug ihm ein schwer in der Luft liegender Gestank entgegen, von dem er sich fast übergeben musste; es war der Geruch von totem Fleisch.
»Wir müssen auf die andere Seite des Geländes, um einen guten Einblick zu bekommen«, sagte Vincent. »Das hier ist eine Meisterleistung in Sachen Landschaftsgestaltung. Man muss schon wirklich sehr neugierig sein, um rauszukriegen, was sich da drinnen abspielt.«
»Da wäre etwas, was ich Sie fragen möchte«, sagte Reeve. »Ich hab das schon so gut wie jeden anderen gefragt, also warum nicht auch Sie? Bedeutet das Wort Agrippa irgendetwas?«
»Natürlich«, sagte Vincent beiläufig. »Das ist eine kleine amerikanische Forschungsfirma.«
»Mein Bruder hatte sich den Namen auf ein Fetzchen Papier notiert.«
»Vielleicht nahm er gerade die Firma unter die Lupe. Agrippa ist einer der Vorreiter auf dem Gebiet der Genmanipulation.«
»Und was genau bedeutet das?« Reeve erinnerte sich an etwas, das Fliss Hornby gesagt hatte: Jim hätte über Gentechnik-Patente recherchiert.
»Es bedeutet, dass die Forscher sich irgendetwas vornehmen und dessen Erbgut verändern, um ein besseres Produkt daraus zu machen. ›Besser‹ nach deren Einschätzung, nicht nach meiner.«
»Sie meinen, zum Beispiel Baumwolle?«
»Ja. Agrippa hat zwar nicht das Patent auf gentechnisch veränderte Baumwolle, aber die Firma arbeitet durchaus an Nutzpflanzen – mit dem Ziel, höhere Erträge und eine größere Resistenz gegen Schädlinge zu erreichen sowie Sorten zu züchten, die unter extremen Umweltbedingungen gedeihen.« Vincent schwieg kurz. »Stellen Sie sich einmal vor, man könnte in der Sahara Weizen anbauen.«
»Aber wenn man schädlingsresistente Sorten züchten würde, bestünde doch gar kein Bedarf an Pestiziden mehr, oder?«
Vincent lächelte. »Die Natur findet schon immer einen Weg, derlei Hindernisse zu umgehen. Trotzdem gibt es durchaus Leute, die Ihnen Recht geben würden. Das ist ja auch der Grund, warum CWC Millionen in die Forschung investiert.«
»CWC?«
»Habe ich es nicht erwähnt? Agrippa ist eine Tochterfirma von Co-World Chemicals. Kommen Sie, hier lang.«
Sie folgten dem Zaun einen steilen Hang hinauf, dann hinunter in ein Tal, und kletterten dann eine weitere Steigung hinauf.
»Von hier aus können wir es sehen«, sagte Vincent. Er schaltete seine Stablampe aus.
Es war ein einziges, von Flutlichtlampen angestrahltes großes Gebäude, vor dem mehrere Laster standen. Männer in Schutzanzügen, teilweise mit Gasmasken, rollten Handwagen zwischen den Lastern und dem Gebäude hin und her. Ein hoher, schlanker Schornstein spie beißenden Rauch aus.
»Eine Verbrennungsanlage?«, riet Reeve.
»Eher schon ein Hochofen. Damit könnte man einen Schiffsrumpf einschmelzen.«
»Und da werden infizierte Tierkadaver eingeäschert?«
Vincent nickte.
»Haben Sie Jim hierhergeführt?«
»Ja.«
»Um ihn zu überzeugen?«
»Manchmal sagt ein Bild mehr als tausend Worte.«
»So was sollten Sie einem Journalisten nie sagen.«
Vincent lächelte. »Dadurch, dass man die Kadaver verbrennt, beseitigt man das Problem noch lange nicht, Mr. Reeve. Das hatte Ihr Bruder begriffen. Es gibt auch in anderen Ländern Journalisten wie ihn. Und ich vermute, dass sie alle auf der schwarzen Liste stehen. Die beim Menschen auftretende Entsprechung von BSE ist die Creutzfeldt-Jakob-Krankheit. Und glauben Sie mir – die würden Sie Ihrem schlimmsten Feind nicht wünschen.«
Reeve hätte sich allerdings durchaus vorstellen können, dem Mann, der seinen Bruder getötet hatte, eine Spritze mit dem Zeug in den Arm zu jagen.
Es gab auch weitere neurodegenerative Erkrankungen – Alzheimer, Multiple Sklerose -, und sie breiteten sich alle zunehmend aus. Während der Rückfahrt zum Bauernhof redete praktisch nur Josh Vincent, und er hatte ausschließlich Unerfreuliches zu sagen. Je mehr er redete, desto mehr ereiferte er sich, desto wütender und frustrierter klang er.
»Aber was kann man denn dagegen tun?«, fragte Reeve
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