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Sein Bruder Kain

Sein Bruder Kain

Titel: Sein Bruder Kain Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Perry
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von Angus Stonefield. Um es kurz zu machen wir sind neulich abends durch Soho geschlendert und haben nach Orten Ausschau gehalten, an denen entweder Angus oder Genevieve Stonefield sich zu einem verbotenen Rendezvous mit irgend jemandem hätten treffen können. Natürlich haben wir nichts gefunden. Ich weiß nicht, ob überhaupt einer von uns beiden etwas in der Art erwartet hat. Es war ein fröhlicher Abend, fern der gesellschaftlichen Zwänge für sie und des Elends, der Armut und des Verbrechens für mich.«
    Rathbone nickte, unterbrach ihn aber nicht. Das Ganze hörte sich völlig natürlich an. Er hatte keine Ahnung, was nun kommen würde.
    »Ich habe sie in einem Hansom nach Hause begleitet…« Monk hielt inne, sein Gesicht war fahl.
    Rathbone versuchte nicht, das Schweigen zu durchbrechen.
    »Wir kamen an der North Audley Street vorbei und mußten das Tempo drosseln, weil in einem der großen Häuser dort irgendeine große Gesellschaft stattgefunden hatte und die Gäste gerade aufbrachen. Plötzlich riß sie sich das Mieder ihres Gewands auf, starrte mich mit tiefstem Haß an, kreischte und warf sich aus der fahrenden Droschke. Sie fiel mit dem Gesicht nach unten auf die Straße, erhob sich mühsam und rannte davon und schrie die ganze Zeit, ich wäre über sie hergefallen.«
    Es war völlig absurd, aber es war auch nicht völlig neu für Rathbone. Er hatte schon früher von hysterischen Frauen gehört, die Annäherungsversuche herausforderten und dann plötzlich ohne die leiseste Vorwarnung den Kopf verloren und von einem unsittlichen Angriff sprachen. Für gewöhnlich konnte man so etwas mit einigen vernünftigen Worten und dem Versprechen entweder von Geld oder einer Heirat hinter verschlossenen Türen regeln. Geld war die bevorzugte Währung - auf Dauer jedenfalls die billigere Lösung. Aber warum sollte irgend jemand Monk so etwas antun? Die Frau konnte kaum den Wunsch haben, ihn zu heiraten. Keine Dame der Gesellschaft würde einen Detektiv zum Mann nehmen. Und er besaß kein Geld. Obwohl sie das möglicherweise nicht wußte. Er kleidete sich wie ein wohlhabender Mann.
    Monk hatte einen Brief in der Hand. Er schob ihn über den Schreibtisch.
    Rathbone nahm ihn, las ihn, faltete ihn dann zusammen und legte ihn wieder auf den Tisch.
    »Das wirft allerdings ein ganz anderes Licht auf die Dinge«, sagte er langsam. »Es sieht so aus, als ginge es ihr um Rache. Ich nehme an, Sie haben keine Idee, warum sie das tut, sonst hätten Sie es sicher erwähnt.«
    »Nein. Ich habe mein Gehirn zermartert, zumindest das, was mir davon noch übriggeblieben ist.« Ein Zug von bitterem Hohn trat in sein Gesicht. »Es ist nichts da. Nicht das geringste. Sie ist schön und amüsant, und es ist wunderbar, mit ihr zusammenzusein., und sie weckt nicht die leisesten Erinnerungen in mir, nicht einmal ansatzweise.« Seine Stimme wurde lauter, und die Verzweiflung ließ sie schneidender als gewöhnlich erscheinen. »Nichts!«
    Rathbone konnte für einen Augenblick des entsetzlichen Gefühls teilhaftig werden, was es bedeutete, im Körper eines Menschen leben zu müssen, den man nicht kannte. Das einzige, dem man niemals, in alle Ewigkeit nicht entkommen konnte, war man selbst. Ganz plötzlich konnte er Monk verstehen, was ihm bis dahin noch nie gelungen war.
    Aber wenn er dem Mann irgendwie helfen sollte, mußte er seine Gefühle unterdrücken. Gefühle beeinträchtigten die Fähigkeit, rational zu denken und die Wahrheit herauszufinden.
    »Dann war vielleicht nicht sie diejenige, der Sie unrecht getan haben«, meinte er nachdenklich, »sondern jemand, den sie liebte. Eine Frau empfindet häufig leidenschaftlicher für einen Mann, den sie liebt, und geht weit größere Risiken ein, um ihn zu schützen, als sie es für sich selbst tun würde.«
    Er sah, wie ein jähes Licht der Hoffnung in Monks Augen aufleuchtete.
    »Aber wer könnte das sein, um Gottes willen?« fragte er. »Es könnte so gut wie jeder in Frage kommen!«
    Es klopfte leise an der Tür, aber beide Männer ignorierten es.
    »Nun, ich wüßte niemanden, der besser dafür geeignet wäre, dieser Sache auf den Grund zu gehen, als Sie«, bemerkte Rathbone. »Und es ist wichtig, Monk.« Er beugte sich vor und stützte die Ellbogen auf den Schreibtisch. »Reden Sie sich nicht ein, daß sie Ihnen keinen Schaden zufügen kann, wenn sie diese Sache weiterverfolgt. Selbst wenn sie nichts beweisen kann, würde eine solche Anklage, wie unbegründet sie auch sein mag, ausreichen,

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