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Sein Bruder Kain

Sein Bruder Kain

Titel: Sein Bruder Kain Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Perry
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es wissen! Warum haßte Drusilla ihn?
    Er konnte nichts tun, bis Evan zurückkehrte und er mit Sicherheit wußte, ob es sich um einen seiner Fälle handelte oder nicht. Wenn nicht, dann mußte er als nächstes nach Norfolk reisen, aber er durfte London nicht verlassen, bevor er in der Stonefield-Verhandlung ausgesagt hatte.
    Er konnte die Polizei bei ihrer weiteren Suche am Fluß nach Angus' Leiche unterstützen. Nicht daß große Hoffnung bestünde, sie jetzt noch zu finden, aber es sollte nichts unversucht bleiben. Wenn sie eine Leiche fanden, wäre der Fall Caleb endgültig abgeschlossen. Wenn je ein Mann es verdient hätte, gehängt zu werden, dann Caleb. Wichtiger noch, es würde Genevieve aus der seelischen und finanziellen Bedrängnis erlösen. Wenn er an ihre Qual und ihren Mut dachte, an ihren tragischen Verlust, verblaßte daneben sein eigenes Dilemma.
    Es war ein klarer, kalter Nachmittag, als er in dem kleinen Boot stand, das von den Stufen am Shadwell Dock ablegte und stromabwärts fuhr, während der Wind ihm ins Gesicht blies. Sie nahmen sich das nördliche Ufer vor. Ein anderes Boot suchte das Südufer ab.
    Die Luft war erfüllt vom Geruch der Flut und Abwässer, dem Plätschern und Schlurfen, mit dem die Wellen des Kielwassers größerer Schiffe gegen die Pfosten und Planken der Piers schlugen. Sie befanden sich inmitten von Lastenseglern und Kähnen auf dem Weg zur Ostküste, von Passagierschiffen unterwegs nach Frankreich und Holland und schnellen Klippern, die in alle Teile des Empire und der Welt ausliefen.
    Sie gingen an jedem Dock an Land, suchten jeden Hof und jede Treppe ab, stocherten in jedem Holzhaufen, in jedem Stapel Stoffballen herum, untersuchten jeden Schiffsrumpf, jede dunkle Stelle im Fluß und schauten unter jedes im Wasser schwimmende Treibgut. Sorgfältig nahmen sie sich die schweren Pfosten der Piers vor, an die in früheren Zeiten gefangene Seeräuber festgebunden worden waren, damit die hereinkommende Flut am Morgen sie ertränkte.
    Monk war durchgefroren. Seine Füße und seine Hose waren durchnäßt, nachdem er immer wieder vom Boot aus in den Kies am Ufer gesprungen war. Sein Körper schmerzte, die nassen Seile hatten ihm Handflächen und Knöchel aufgeschürft, und er war hungrig.
    Als die Dämmerung hereinbrach, bohrte sich die Kälte mit Nadeln in die Haut, und die Feuchtigkeit auf den Pflastersteinen am Ufer verwandelte sich in Eis. Die Flut wälzte sich wieder landeinwärts. Sie befanden sich hinter Woolwich und dem Königlichen Arsenal; sie waren bis zum Ende von Gallion's Reach hinuntergefahren. Vor ihnen lag Barking Reach.
    »Nichts«, sagte der Sergeant kopfschüttelnd. »Wir verschwenden nur unsere Zeit. Wenn er überhaupt in den Fluß geworfen wurde, ist er jetzt lange weg. Armer Teufel.« Er hob den Arm, und das Boot schaukelte leicht. »Alles klar, Männer. Wir können genausogut nach Hause fahren. Gott weiß, daß es heute nacht mal wieder höllisch kalt wird. Reicht mal die Flasche mit dem Rum durch. Wir sind verdammt weit weg von zu Hause.«
    »Wir werden ihn schon irgendwo finden«, meinte einer der anderen lakonisch. »Früher oder später gibt das Meer die Toten frei.«
    »Vielleicht«, gab der Sergeant ihm recht. »Aber nicht mehr heute abend, Jungs.«
    Sie wendeten in einem weiten Bogen und legten sich mit ihrem ganzen Gewicht in die Riemen, zu müde, um mich noch länger zu unterhalten. Das Ufer war nur ein besonders dunkler Bereich in der Nacht, der von gelben Lichtern erhellt wurde, Kutschenlaternen, die sich langsam von einem Ort zum anderen bewegten. Die Geräusche von dort waren über das Wasser nur schwach zu hören, das Rattern von Rädern, ein Ruf, das Knirschen von Rundhölzern in der Mitte des Flusses.
    Es war eine gute Stunde später, als sie mit einem festen Gegenstand im Wasser zusammenstießen und der Mann am Bug Meldung machte. Es dauerte dann noch zwanzig Minuten, während derer sie sich im Lampenlicht abmühten und das kleine Boot hin und her schwankte, bis sie die Leiche hereingeholt hatten und untersuchen konnten.
    Monk spürte, wie sein Magen sich vor Ekel zusammenkrampfte, und einen Augenblick lang fürchtete er, sich übergeben zu müssen.
    Es waren die Überreste eines Mannes von Ende Dreißig oder Anfang Vierzig, soviel konnte man noch sehen. Er war seit geraumer Zeit tot, nach Monks Einschätzung etwas mehr als eine Woche. Seine Gesichtszüge waren vom Flußwasser und seinen natürlichen Bewohnern bereits übel zugerichtet. Was

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