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Sein Bruder Kain

Sein Bruder Kain

Titel: Sein Bruder Kain Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Perry
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Körper bedeckt haben, ist er unversehrt geblieben. Das ist der Grund, warum nur Sie es uns sagen können.«
    Sie zog scharf die Luft ein, versuchte zu sprechen und brachte keinen Laut hervor.
    Alles in ihm drängte danach, sie berühren zu dürfen, ihr auf irgendeine Art und Weise Kraft zu spenden. Aber das wäre eine unmögliche Zudringlichkeit gewesen.
    »Möchten Sie, daß jemand Sie begleitet?« fragte er. »Haben Sie eine Kammerzofe? Oder sollen wir bei Mr. Niven vorbeifahren? Ich nehme an, Lord Ravensbrooks Gegenwart wäre Ihnen nicht angenehm?« Es war eine, Frage, aber er konnte die Antwort der Art entnehmen, wie ihr Hals sich versteifte.
    »Nein… nein, vielen Dank. Ich denke, ich ziehe es vor, außer Ihnen niemanden mitzunehmen. Wenn Sie so freundlich sein wollen? Ich habe schon früher Tote gesehen, aber natürlich nicht meinen eigenen Mann oder jemanden, der… nicht unversehrt ist… wie Sie sagten.«
    »Natürlich.« Er bot ihr sofort seinen Arm. »Wollen Sie sofort mitkommen, oder möchten Sie erst noch einen Schluck Brandy zu sich nehmen?«
    »Ich trinke keinen Alkohol, vielen Dank. Ich werde meine Zofe bitten, mir meinen Mantel zu bringen, dann bin ich soweit. Ich möchte das schnell hinter mich bringen.«
    Sie fuhren schweigend ihrem Ziel entgegen. Es gab nichts Wichtiges zu sagen, und alles Unwichtige wäre zu diesem Zeitpunkt ebenso schmerzlich wie absurd gewesen. Die Droschke holperte durch die Dunkelheit, vorbei an den Straßenlaternen, deren Licht vom Nebel und Rauch reflektiert wurde. Man hörte keinen Laut, abgesehen von dem Klappern der Hufe auf dem Pflaster und dem Rattern der Räder und einem gelegentlichen Spritzen von Wasser, wenn sie in einen besonders tiefen Rinnstein gerieten.
    Als sie am Leichenschauhaus ankamen, blieb die Kutsche mit einem Ruck stehen. Monk kletterte hinaus und half Genevieve beim Aussteigen. Sie überquerten den Gehsteig und gingen die Stufen hinauf. Ein einsamer Constable wartete auf sie, unglücklich und mit bleichem Gesicht. Er führte sie hinein.
    Im Haus roch es sauber und ein wenig schal, der undefinierbare Geruch, der etwas anderes überdecken sollte, den Geruch der gewaschenen und häufig schon halb verwesten Körper der Toten.
    Der Constable führte sie in einen kleinen Raum, in dem, verhüllt von einem Laken, eine Leiche auf einem Holztisch lag. Für gewöhnlich zog man das Laken nur so weit herunter, daß das Gesicht zu erkennen war. In diesem Fall war das der am schlimmsten entstellte Teil des Mannes. Jemand hatte so viel Weitsicht bewiesen, den Kopf mit einem zusätzlichen Tuch zu verhüllen. Der Angestellte zog den Stoff vom Hals nach unten, so daß Schultern, Oberarme, Brust und Unterleib sichtbar wurden.
    Genevieve stand völlig reglos da, als könne sie sich nicht von der Stelle bewegen. Monk fürchtete, daß sie, sobald sie es tat, zusammenbrechen würde, und doch konnte sie von ihrem Platz aus nicht genug sehen, um mehr als den Oberkörper eines gutgebauten Mannes zu erkennen. Wenn Angus nicht irgendeine schwere Anomalität aufzuweisen hatte, würde sie näher herangehen müssen, um feststellen zu können, ob er es war oder nicht.
    Er nahm ihren Arm.
    »Mrs. Stonefield?« sagte er sanft. »Ihre Qual ist völlig natürlich, genauso wie Ihr Abscheu, aber wir wissen nicht, ob es sich hier um Ihren Mann handelt oder nicht. Ohne Ihre Hilfe werden wir es nie erfahren. Bitte… nehmen Sie all Ihren Mut zusammen und sehen Sie hin.«
    Sie machte mit geschlossenen Augen einen Schritt nach vorn, dann einen zweiten und schließlich einen dritten. Monk hielt sie an. Sie war jetzt nah genug.
    Sie standen schweigend nebeneinander, und auch von draußen drang kein Laut in den Raum. Man hörte nicht einmal einen Atemzug. Selbst die Lampen schienen ohne das leiseste Zischen zu brennen, als verschlucke die Luft jedes Geräusch.
    Genevieve öffnete die Augen und blickte auf die nackte Brust vor ihr.
    »Nein«, flüsterte sie, und die Tränen quollen aus ihren Augen, Tränen der Erleichterung wie auch der Verzweiflung. »Das ist nicht mein Ehemann. Bitte, ziehen Sie das Laken wieder über den armen Mann. Ich weiß nicht, wer er ist.«
    »Es ist nicht Angus?« fragte Monk noch einmal nach. »Sind Sie da völlig sicher?«
    »Ja.« Sie wandte sich von der Leiche ab. »Er hat keine Narben. Angus hatte ein einzigartiges Muster von Narben auf seiner Brust, an der Stelle, an der er einmal verletzt worden war; es war eine Stichwunde, die er sich bei einem seiner Besuche

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