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Sein Bruder Kain

Sein Bruder Kain

Titel: Sein Bruder Kain Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Perry
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Er hatte sich geweigert, einen Arzt hinzuzurufen, trotz der offensichtlichen Ernsthaftigkeit seiner Verletzungen, und Mrs. Stonefield hatte ihn selbst gepflegt. Sie verfügte über einige Begabung auf diesem Gebiet.
    Hatte Mr. Stonefield lange gebraucht, um sich zu erholen?
    Bei einer Gelegenheit war ihm nichts anderes übriggeblieben, als über eine Woche lang im Bett zu liegen. Es schien, als hätte er eine Menge Blut verloren.
    Hatte er einen Grund für seine Verletzung angegeben?
    Nein. Aber der Butler hatte mit angehört, wie Mr. Stonefield einmal von seinem Bruder sprach, und Mrs. Stonefield hatte kein Geheimnis aus ihrer Vermutung gemacht, daß Caleb die Schuld an seinen Verletzungen trug.
    Die Gesichter der Geschworenen verrieten deutlich, wie sie selbst zu der Sache standen, wie groß ihre Verachtung für Caleb war, der sie überhaupt nicht beachtete, als spielten sie nicht die geringste Rolle in dieser Verhandlung.
    Der Butler war sehr freimütig. Er ließ Goode keine Möglichkeit, ihm eine Falle zu stellen, und Goode war bei weitem zu klug, um sich von einem solchen Mann in Verlegenheit bringen zu lassen. Er war höflich und wohlwollend. Das einzige, was er hier erreichen konnte, war eine neuerliche Bekräftigung für die Geschworenen, daß die Frage, woher Angus' Verletzungen rührten, nach wie vor lediglich auf Vermutungen fußte. Angus hatte niemals ausdrücklich gesagt, daß Caleb ihn mit einem Messer bedroht habe. Er war überhaupt nicht ausführlicher auf irgendwelche dieser Streitigkeiten eingegangen. Alle Besucher im Raum glaubten, daß Caleb der Schuldige war; es stand auf ihren Gesichtern geschrieben, wenn sie zur Anklagebank sahen, und der höhnische, unverschämte Blick, mit dem Caleb seinerseits diese Leute bedachte, schien das zu bestätigen.
    Der erste Verhandlungstag endete mit einer Verurteilung im Geiste, aber ohne Beweise, die der Richter im Sinne des Gesetzes hätte verwerten können, nur mit massiven Vermutungen und einer Zuschauerschar, die kein Hehl aus ihrer Verachtung machte.
    Rathbone verließ das Gerichtsgebäude und fand beinahe sofort einen Hansom. Ohne nachzudenken, gab er dem Fahrer Weisung, ihn nach Primrose Hill zu bringen. Dort lebte sein Vater, ein ruhiger, gelehrsamer Mann von sanfter Natur und beunruhigend scharfem Verstand.
    Sein Vater saß neben einem großen Holzfeuer und hatte die Füße auf das Kamingitter gelegt und ein Glas Rotwein neben sich stehen, als Oliver eintraf und gleich darauf von einem Diener hineingeführt wurde. Henry Rathbone blickte überrascht auf, dann huschte ein Schatten von Freude und auch Besorgnis über seine Züge.
    »Setz dich«, sagte er und zeigte auf den Stuhl gegenüber.
    »Wem?«
    »Was trinkst du denn da?« Oliver setzte sich und gab sich einer tiefen Zufriedenheit hin, als die Wärme des Feuers ihn durchdrang. »Deinen Burgunder mag ich nicht besonders.«
    »Das ist ein Bordeaux«, erwiderte Henry.
    »Dann nehme ich ein Glas.«
    Henry nickte dem Diener zu, der sogleich verschwand, um den Wein herbeizuholen.
    »Du wirst dir die Füße verbrennen«, meinte Oliver kritisch.
    »Das Schlimmste, was mir passieren kann, ist, daß ich mir die Sohlen von meinen Pantoffeln ansenge«, wandte Henry ein. Er fragte nicht, warum Oliver gekommen war. Er wußte, daß er es noch rechtzeitig erfahren würde.
    Oliver ließ sich ein wenig tiefer in den Sessel sinken und nahm den Bordeaux von dem Diener entgegen, der gleich darauf das Zimmer verließ und die Tür mit einem leisen Klicken hinter sich ins Schloß fallen ließ.
    Die Asche im Kamin fiel zusammen, und Henry streckte die Hand aus, um ein weiteres Holzscheit aufzulegen. Es gab kein Geräusch im Raum, abgesehen vom Knistern des Feuers, kein Licht außer dem der Flammen und dem einer Gaslampe an der Wand gegenüber. Der Wind draußen war, genauso wie der einsetzende Regen, nicht zu hören.
    »Ich denke darüber nach, mir einen neuen Hund zuzulegen«, bemerkte Henry. »Der alte Edgmore hat ein paar Retrieverwelpen. Einen davon mag ich ganz besonders.«
    »Gute Idee«, meinte Oliver. Er würde das Thema von sich aus anschneiden müssen. »Diese Verhandlung macht mir Schwierigkeiten.«
    »Das habe ich gehört.« Henry griff nach seiner Pfeife und führte sie zum Mund, machte sich jedoch nicht die Mühe, sie anzuzünden. Das tat er nur selten. »Warum? Was ist anders, als du erwartet hast?«
    »Nichts, nehme ich an.«
    »Welchen Grund gibt es dann, sich Sorgen zu machen?« Henry sah ihn mit seinen

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