Sein Bruder Kain
Zähne entblößt, so daß er Ähnlichkeit mit einem wilden Tier hatte.
»Vergessen, daß Angus solche Angst vor deinem verdammten schwarzen Pferd hatte - aber ich habe es geritten! Vergessen, wie wütend du warst…«
»Ruhe!« Der Richter schlug mit seinem Hammer auf das Pult, aber Caleb schenkte ihm keine Beachtung, sondern beugte sich über die Brüstung; seine gefesselten Hände umklammerten das Geländer, und seine Augen funkelten. Seine Miene verriet blinden Haß, der beängstigend wirkte. Er strahlte eine Kraft und einen Zorn aus, die die Menschen im Gerichtssaal selbst noch aus einiger Entfernung spüren konnten.
»… weil ich das Tier unter Kontrolle hatte und du nicht«, fuhr Caleb fort, immer noch ohne den Richter eines Blickes zu würdigen. Es war, als gäbe es niemanden im Raum außer ihm und Ravensbrook. »Erinnerst du dich daran, wie du mich geschlagen hast, weil ich die Pfirsiche aus dem Gewächshaus genommen habe?«
Goode war aufgesprungen, konnte aber nichts tun.
»Das war sieben Jahre davor«, erwiderte Ravensbrook, der Caleb nicht ansah, sondern an ihm vorbeistarrte. »Du hattest sämtliche Pfirsiche genommen. Du hattest eine Strafe verdient.«
Der Richter griff abermals zu seinem Hammer.
»Mr. Goode, entweder sorgen Sie dafür, daß Ihr Mandant die Regeln dieses Gerichts befolgt, oder ich werde ihn aus dem Saal bringen lassen und den Fall in seiner Abwesenheit verhandeln. Bitte, machen Sie ihm das klar, Sir.«
Caleb fuhr herum, und sein Gesicht war vor Zorn verzerrt.
»Reden Sie nicht über einen Dritten mit mir, als wäre ich nicht hier, verdammt noch mal! Ich kann hören, was Sie sagen, und ich verstehe Sie. Welchen verfluchten Unterschied macht es überhaupt, ob ich hier bin oder nicht? Sie sagen über mich, was Sie sagen wollen. Sie glauben, was Sie wollen. Sie werden die Dinge sehen, wie Sie sie sehen wollen!« Seine Stimme wurde noch lauter. »Welche Rolle spielt die Wahrheit schon? Was interessiert es Sie, wer wen getötet hat, solange Ihre Welt dieselbe bleibt, mit denselben bequemen, beruhigenden Lügen? Vertuschen Sie ruhig alles! Begraben Sie es! Setzen Sie ein weißes Kreuz darauf, und sprechen Sie ein Gebet zu Ihrem Gott, damit er Ihnen verzeiht, und dann gehen Sie, und vergessen Sie. Ich werde Sie alle in der Hölle wiedersehen, dessen dürfen Sie sich gewiß sein! Ich werde dort sein und auf Sie warten!«
Der Richter sah müde und traurig aus. »Bringen Sie den Gefangenen hinaus«, wies er die Wärter an.
Caleb sank plötzlich in sich zusammen und schlug die Hände vors Gesicht.
Ebenezer Goode stand auf und ging ein gutes Stück auf die Anklagebank zu.
»Mylord, dürfte ich um eine kurze Vertagung bitten, damit ich meinen Mandanten beraten kann? Ich glaube, ich kann ihn dazu bewegen, in Zukunft Schweigen zu bewahren.«
»Das ist nicht nötig«, unterbrach ihn Caleb und hob den Kopf wieder. »Ich werde nicht noch einmal sprechen. Es gibt nichts mehr zu sagen.«
Der Richter sah zu Rathbone hinüber.
»Ich bin bereit fortzufahren, Mylord«, erwiderte Rathbone. Er hatte nicht den Wunsch, die Stimmung durch eine Vertagung zu verändern.
»Noch so ein Ausbruch, und ich werde entsprechende Verfügungen treffen«, warnte der Richter.
»Jawohl, Mylord.« Goode kehrte zu seinem Platz zurück, ohne noch einen Blick auf den Angeklagten zu werfen.
Rathbone sah Lord Ravensbrook wieder an.
»Ich denke, ein Teil meiner Fragen ist bereits beantwortet worden, aber wenn Sie bitte noch ein oder zwei Vorfälle erwähnen könnten, bekäme das Gericht ein besseres Bild. Wie erging es den beiden Brüdern zum Beispiel bei ihren akademischen Studien?«
Ravensbrooks Körper war so steif, als nähme er an einer Militärparade teil.
»Angus hielt sich hervorragend, vor allem in Mathematik, Geschichte und Geographie«, sagte er, den Blick ins Leere gerichtet. »Er interessierte sich weniger für Latein und die Klassiker, aber er studierte sie dennoch, weil ich es wünschte. Er war ein wirklich bewundernswerter Junge und hat mich überreich für alles belohnt, was ich je für ihn getan habe.«
Der Anflug eines Lächelns huschte über sein Gesicht und verschwand wieder.
»Ich glaube, in späteren Jahren zumindest hat er den Wert des Lateinischen erkannt. Diese Sprache ist eine so einzigartige Disziplin für den Geist. Diese Notwendigkeit hat er stets eingesehen. Ganz im Gegensatz zu Caleb. Caleb war widerspenstig, immer bereit zu rebellieren, wollte vernichten und zerstören. Das war ein
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