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Sein Bruder Kain

Sein Bruder Kain

Titel: Sein Bruder Kain Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Perry
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Sallis heranzukommen. Sie haben ihr erzählt, er habe sie mit ihrer eigenen Schwester Julia betrogen. In ihrem Zorn und ihrem Schmerz hat sie Ihnen gesagt, was Sie hören wollten.«
    Monk spürte, wie die Kälte ihm bis ins Mark drang. Er nahm seine Füße auf dem Pflaster nicht mehr wahr, genausowenig wie die Kutschen, die die Guildford Street entlangfuhren, oder das Klirren des Pferdegeschirrs.
    »Und hat er das getan?«
    »Ich weiß nicht«, antwortete Evan. »Es gab nichts, was darauf schließen ließ.«
    Monk atmete langsam aus. Er haßte den bekümmerten Blick in Evans Augen, die standhafte Weigerung, eine Entschuldigung für sein Verhalten zu finden, aber er konnte auch nichts zu seiner Verteidigung sagen. Er empfand großen Abscheu für sich selbst. Der Mann mochte schuldig gewesen sein, aber warum hatte er die Sache so weit getrieben? War es das wert - die Eifersucht einer Frau zu mißbrauchen, damit sie ihren Geliebten an Coldbath Fields verriet, für ein paar Pfund aus einem Kirchenfonds, selbst wenn er für die Armen bestimmt war?
    Heute hätte er nicht mehr so gehandelt. Er hätte ihn laufenlassen. Die Schande wäre genug gewesen. Wenn der Pfarrer es wußte, wenn sogar Drusilla es in ihrem Herzen wußte, hätte das nicht im Grunde genügt?
    »Es gehört der Vergangenheit an«, sagte Evan leise. »Sie können es nicht mehr ungeschehen machen. Ich wünschte, ich wüßte, wie wir sie jetzt aufhalten könnten, aber mir fällt nichts ein.«
    »Ich habe sie nicht wiedererkannt«, sagte Monk mit ernster Stimme, als wäre dieser Umstand von Bedeutung. »Ich habe Stunden in ihrer Gesellschaft verbracht, und ich habe mich an gar nichts erinnert, an überhaupt nichts.«
    Evan ging weiter, und Monk folgte ihm.
    »Nichts!« sagte Monk verzweifelt.
    »Das ist doch nicht weiter überraschend.« Evan blickte stur geradeaus. »Sie hat ihren Namen geändert, und die Sache liegt mehrere Jahre zurück. Damals war auch die Mode eine andere. Ich schätze, sie hat ihr Aussehen ein wenig verändert. Das ist für eine Frau nicht weiter schwierig. Es war in unseren Augen nur eine ganz unbedeutende Sache, aber damals hat es einen großen Skandal gegeben. Man hatte Sallis vertraut, und außerdem kam auch die Romanze ans Tageslicht. Der Ruf beider Mädchen war ruiniert.«
    Alle möglichen Gedanken schossen durch Monks Kopf, Entschuldigungen, die sich in nichts auflösten, bevor sie noch formuliert waren, Abscheu vor sich selbst, Reue, Verwirrung. Nichts von alledem war leicht in Worte zu fassen, und vielleicht blieben sie ohnehin besser ungesagt.
    »Ich verstehe.« Er ging neben Evan her, und ihrer beider Schritte machten auf dem Pflaster nur ein einziges Geräusch.
    »Vielen Dank.«
    Sie überquerten die Guildford Street und gingen die Lamb's Conduit Street hinunter. Monk hatte keine Ahnung, welches Ziel sie ansteuerten. Er lief einfach hinter Evan her, war aber froh, daß sie offensichtlich nicht zum Mecklenburg Square wollten. Dort warteten ohnehin schon zu viele Alpträume auf ihn.
    An diesem Abend besuchte Drusilla Wyndham, wie sie sich mittlerweile nannte, eine musikalische Soiree im Haus einer Dame der Gesellschaft. Sie hatte sich mit großer Sorgfalt gekleidet, um ihre Schönheit noch zu unterstreichen, und sie ging davon aus, daß sie eine gewisse Wirkung erzielen würde. Sie betrat den Raum mit hoch erhobenem Haupt, ihre Haut glühte vom Gefühl des inneren Triumphes, vom Wissen, daß sie den Becher der Rache bereits an den Lippen hielt und einen ersten Vorgeschmack davon schon auf ihrer Zunge spüren konnte.
    Und sie erzielte tatsächlich eine Wirkung, allerdings eine ganz andere als die, die sie erwartet hatte. Ein Herr, der sich ihr gegenüber immer sehr galant gezeigt hatte, sah sie erschrocken an und wandte ihr dann den Rücken zu, als hätte er plötzlich jemanden erblickt, mit dem er unbedingt sprechen mußte.
    Sie nahm die Sache nicht weiter ernst, bis Sir Percy Gainsborough gleichfalls so tat, als hätte er sie nicht gesehen, obwohl ganz offensichtlich war, daß es so war.
    »Der ehrenwerte Gerald Hapsgood verschüttete sogar seinen Champagner, so heftig war sein Wunsch, ihr aus dem Weg zu gehen; erschrocken entschuldigte er sich bei der Dame, die neben ihm stand, und trat dann in seiner höchst unschicklichen Hast auf den Saum ihres Gewandes und konnte sein Gleichgewicht nur bewahren, indem er sich an Lady Burgoyne festhielt.
    Die Herzogin von Granby warf ihr einen Blick zu, unter dem selbst Rahm gefroren

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