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Sein Bruder Kain

Sein Bruder Kain

Titel: Sein Bruder Kain Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Perry
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nach Limehouse zu ersparen und damit die Notwendigkeit, Caleb überhaupt zu treffen?«
    »Nein.« Sie sagte nicht mehr als dieses eine Wort, aber ihr Gesicht spiegelte Überraschung wider und auch so etwas wie Feindseligkeit.
    Goode zögerte, schien seine weitere Frage stellen zu wollen, entschied sich dann jedoch dagegen.
    Eine plötzliche Eingebung sagte Rathbone, welche Frage es gewesen wäre. Er beschloß, sie während des Kreuzverhörs selbst zu stellen. Goode hatte ihm gezeigt, welchen Weg er einschlagen mußte.
    »Und als sie Caleb am Tag danach wiedersahen«, griff Goode seinen Faden wieder auf, »da hat er Angus mit keinem Wort erwähnt, stimmt das?«
    »Mhm. Er hat überhaupt nicht von ihm gesprochen.« Ihr Gesicht war bleich; Rathbone war sicher, daß sie log. Er sah zu den Geschworenen hinüber und konnte an ihren Gesichtern genau ablesen, was sie empfanden. Niemand glaubte ihr.
    »Wissen Sie, ob er seinen Bruder getötet hat, Miss Herries?« Goodes Stimme durchschnitt die Stille.
    Irgendwo im Raum holte jemand hörbar Luft.
    Caleb stieß einen kurzen, verächtlichen Schrei aus, der fast wie ein Bellen klang. »Nein«, sagte Selina und schüttelte so heftig den Kopf, als wolle sie etwas loswerden, das sie umklammert hielt. »Nein, ich habe keine Ahnung davon, und Sie haben kein Recht, so was zu behaupten!«
    »Ich behaupte es nicht, Miss Herries«, versicherte Goode ihr.
    »Ich tue mein Möglichstes, um diese Herren hier davon zu überzeugen«, er zeigte mit der Hand ungefähr dorthin, wo die Geschworenen saßen, »daß es nicht den geringsten Beweis dafür gibt, daß Angus überhaupt tot ist - überhaupt keinen endgültigen Beweis -, ganz zu schweigen davon, daß es einen Grund gibt, seinen Bruder dafür verantwortlich zu machen. Es gibt ein Dutzend anderer Möglichkeiten, wo Angus Stonefield sein könnte - und warum.«
    Rathbone stand auf.
    Der Richter seufzte. »Mr. Goode, dies ist nicht der richtige Zeitpunkt, um sich an die Geschworenen zu wenden, weder direkt noch indirekt, und das wissen Sie sehr gut. Wenn Sie weitere Fragen an die Zeugin haben, fahren Sie bitte fort. Wenn nicht, dann erlauben Sie Mr. Rathbone, die Zeugin noch einmal zu befragen, wenn er das möchte.«
    »Natürlich.« Goode verbeugte sich mit einer formellen, wenn auch ziemlich herausfordernden Geste und kehrte an seinen Platz zurück. »Mr. Rathbone!«
    Rathbone sah Selina an. Er lächelte.
    »Sie haben meinem gelehrten Freund gerade bestätigt, daß Caleb sich in der Vergangenheit häufig mit Angus getroffen hat und daß Sie davon wußten. Sie sagten gleichfalls, daß Caleb sich bei der Gelegenheit, um die es uns hier geht, nämlich dem letzten Tag, an dem Angus Stonefield je gesehen wurde, genauso verhalten hat wie immer.«
    »Mhm.« Sie hatte das alles bereits zugegeben, und es schien nichts dagegen zu sprechen, es noch einmal zu bestätigen.
    »Und doch schickte er nach seinem Bruder, und sein Bruder hat alles andere stehen und liegengelassen und folgte Calebs Aufforderung - suchte, soweit Sie wissen, eine öffentliche Schankwirtschaft auf der Isle of Dogs auf, einfach um Geld auszuhändigen, das er, da es sich ja um Ihre Miete handelte, genausogut hätte Ihnen geben können. Und wie Sie sagen, wer würde schon freiwillig ein warmes Büro verlassen, um…«
    Der Richter wartete nicht auf Goode.
    »Mr. Rathbone, Sie drehen sich im Kreis. Wenn Ihre Fragen ein Ziel haben, dann steuern Sie es jetzt bitte direkt an!«
    »Sehr wohl, Mylord. Ich verfolge mit meinen Fragen tatsächlich ein Ziel. Miss Herries, Sie erzählen uns, daß es etwas völlig Normales war, daß Caleb nach seinem Bruder schickte, daß dieser kam und daß Caleb zerschunden, verletzt, vielleicht sogar aus mehreren Wunden blutend zurückkehrte und trotzdem bester Laune war, da er eine Prügelei für sich entschieden hatte. Und Sie haben ebenfalls gesagt, daß niemand Caleb Stone schlägt. Das muß auch seinen unglücklichen Bruder einschließen, der seither nicht mehr gesehen wurde! Nur seine blutbefleckten Kleider sind auf der Isle of Dogs gefunden worden!«
    Selina sagte nichts. Ihr Gesicht war genauso weiß wie das Papier, auf das der Gerichtsschreiber kritzelte.
    Auf der Anklagebank stieß Caleb Stone ein wildes Gelächter aus. Es wurde schriller und lauter, bis es den ganzen Saal auszufüllen und von der Holzvertäfelung widerzuhallen schien.
    Der Richter schlug mit dem Hammer auf sein Pult und fand keine Beachtung - so ein Hammer war nicht mehr als ein

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