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Sein Bruder Kain

Sein Bruder Kain

Titel: Sein Bruder Kain Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Perry
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damit nicht außer Hörweite war.
    »Daß wir die Wahrheit herausfinden?« Goode hob die Augenbrauen. »Das bezweifle ich, Mylord. Ganz gewiß wird es uns nicht gelingen, sie zu beweisen. Ich wage zu sagen, daß das, was Angus zugestoßen ist, für immer eine Mutmaßung bleiben wird. Wenn Sie wissen wollen, wie der Spruch der Geschworenen ausfallen wird, so halte ich im Augenblick eine Verurteilung irgendeiner Art nicht für unwahrscheinlich, obwohl ich nicht zu sagen wage, ob das Urteil auf Mord oder Totschlag lauten wird.« Er holte tief Luft. »Zuerst müssen wir Calebs Geschichte hören. Die könnte jetzt etwas anders ausfallen als noch vor einigen Tagen. Er hat Zeugenaussagen gehört, die ihn vielleicht dazu bringen werden, etwas offener von der Begegnung mit seinem Bruder zu sprechen.«
    »Sie haben die Absicht, ihn in den Zeugenstand zu rufen?« Ravensbrooks Körper war völlig steif und seine Haut wie Papier. »Fürchten Sie nicht, daß er sich mit seinen eigenen Worten ins Unglück stürzen wird, wenn er das nicht ohnehin schon getan hat? Ich bitte Sie, haben Sie Erbarmen und tun Sie es nicht. Wenn Sie es einfach dabei bewenden lassen, dann können Sie um seinetwillen darauf plädieren, daß es zu einem Streit gekommen sein müsse, der außer Kontrolle geriet, dann werden die Geschworenen vielleicht auf Totschlag erkennen oder sogar auf ein geringeres Vergehen, vielleicht nur auf einen Unfall mit Todesfolge.« Eine verwegene Hoffnung flackerte in seinen dunklen Augen auf. »Das wäre doch sicher im besten Interesse Ihres Mandanten? Er hat ganz offensichtlich den Verstand verloren. Vielleicht wäre er überhaupt am besten in Bedlam aufgehoben.«
    Goode dachte einige Sekunden lang darüber nach.
    »Möglicherweise«, räumte er ein; seine hochgezogenen Augenbrauen senkten sich wieder, und seine Stimme war sehr ruhig. »Aber die Geschworenen sind ihm nicht besonders wohlgesonnen. Sein eigenes Verhalten hat das bewirkt. Nach Bedlam würde ich nicht einmal einen Hund schicken. Ich glaube, ich muß ihm die Gelegenheit geben, seine Geschichte selbst zu erzählen. Es ist immer sehr viel unwahrscheinlicher, daß die Geschworenen einem Angeklagten glauben, der nicht selbst zu Wort gekommen ist.«
    »Rathbone wird ihn vernichten!« rief Ravensbrook mit einem plötzlichen Aufwallen von Zorn. »Er wird, wenn man ihn drängt, wieder die Beherrschung verlieren, und er hat Angst. In einem solchen Zustand würde er alles sagen, einfach um zu schockieren.«
    »Ich werde mir mein Urteil bilden, wenn ich mit ihm gesprochen habe«, versprach Goode. »Obwohl ich geneigt bin, Ihnen zuzustimmen.«
    »Gott sei gedankt!«
    »Natürlich ist es seine Entscheidung«, fügte Goode hinzu.
    »Der Mann kämpft schließlich um sein Leben. Wenn er zu sprechen wünscht, muß man ihm die Möglichkeit dazu geben.«
    »Können Sie als sein juristischer Berater ihn nicht vor sich selbst bewahren?« wollte Ravensbrook wissen.
    »Ich kann ihm raten, das ist alles. Ich kann ihm nicht die Möglichkeit verwehren, zu seiner eigenen Verteidigung auszusagen.«
    »Ich verstehe.« Ravensbrook warf einen Blick auf Rathbones Profil. »Dann hat er wohl kaum eine Chance. Da ich sein einziger noch lebender Verwandter bin und, sobald er erst verurteilt ist, vielleicht keine Gelegenheit mehr haben werde, mit ihm zu sprechen, würde ich ihn gern noch einmal sehen, und zwar allein. Heute zumindest ist er noch ein unschuldiger Mann.«
    »Natürlich«, pflichtete Goode ihm schnell bei. »Soll ich das für Sie in die Wege leiten?«
    »Ich werde Sie um Hilfe bitten, falls das nötig sein sollte«, antwortete Ravensbrook. »Ich danke Ihnen für das Angebot.« Er sah erst Rathbone an, dann Enid auf ihrem Stuhl.
    Sie warf ihm einen langen, neugierigen, flehentlichen Blick zu, als gäbe es eine Frage, von der sie nicht wußte, wie sie sie in Worte fassen sollte.
    Wenn er verstand, was sie meinte, ließ er sich nichts davon anmerken, weder in seiner Miene noch in seiner Haltung. Und er gab auch keine weiteren Erklärungen.
    »Warte in der Kutsche auf mich«, sagte er zu ihr. »Dort hast du es bequemer. Miss Latterly ist sicher gleich wieder zurück.« Und ohne mehr zu sagen, verabschiedete er sich, um mit schnellen Schritten die Treppe hinunterzugehen, die zu den Zellen führte.
    Etwa zwanzig Minuten später stand Rathbone draußen auf der Treppe zur Straße und sprach mit Monk, der gerade eingetroffen war. Ebenezer Goode kam die Treppe herunter und steuerte auf sie zu; sein

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