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Sein Bruder Kain

Sein Bruder Kain

Titel: Sein Bruder Kain Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Perry
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Instrument, das den Takt zu dem folgenden Aufruhr schlug. Er verlangte Ruhe, und niemand hörte überhaupt hin. Calebs hysterisches Lachen übertönte alles andere. Die Wärter packten ihn, aber er stieß sie zur Seite.
    In der Galerie stolperten die Journalisten übereinander, um aus dem Saal zu kommen und mit dem ersten Hansom, den sie erwischen konnten, der Fleet Street und den Extraausgaben entgegenzujagen.
    Enid erhob sich in dem allgemeinen Tumult und schaute sich hilflos um. Sie versuchte mit Ravensbrook zu sprechen, aber er beachtete sie nicht, sondern starrte wie gebannt zur Anklagebank hinüber. Er schien nicht wahrzunehmen, was um ihn herum geschah, all die Aufregung und das Durcheinander, sondern war anscheinend ganz mit irgendeiner schrecklichen Wahrheit in seinem Innersten beschäftigt.
    Der Richter schlug immer noch mit seinem Hammer auf das Holzpult, ein scharfes, dünnes, rhythmisches Geräusch ohne die geringste Wirkung.
    Rathbone bedeutete Selina Herries, daß sie gehen dürfe. Sie drehte sich um und ging die Stufen des Zeugenstands hinunter, ohne Caleb eine Sekunde lang aus den Augen zu lassen.
    Schließlich überwältigten die Wärter ihn, und er wurde weggeführt. Daraufhin kehrte zumindest zum Schein die Ordnung wieder ein.
    Der Richter verkündete, hochrot im Gesicht, daß das Gericht sich vertagen wolle.
    Draußen im Korridor prallte Rathbone, der ziemlich erschüttert war, beinahe mit Ebenezer Goode zusammen, der schockiert und unglücklich aussah.
    »Hätte nicht gedacht, daß Sie das hinkriegen würden, mein lieber Freund«, sagte er mit einem Seufzer. »Aber nach den Mienen der Geschworenen zu schließen, würde ich jetzt jede Wette eingehen, daß Sie einen Schuldspruch erwirken. Ich hatte noch nie einen Mandanten, der so versessen auf seine eigene Zerstörung war.«
    Rathbone lächelte, aber es war eine Geste der Höflichkeit, in der keine Freude lag. Sein Sieg würde ihm berufliche Befriedigung geben, aber es mangelte ihm auf seltsame Weise an dem gewohnten Gefühl des persönlichen Triumphes. Er hatte Caleb Stone für durch und durch verachtenswert gehalten. Jetzt waren seine Gefühle nicht mehr so eindeutig. Die Unberechenbarkeit Calebs und seine starke geistige Präsenz im Gerichtssaal, obwohl er bisher noch nicht einmal gehört worden war, untergruben sein Urteil, und er war sich, was das Ergebnis von Calebs Zeugenaussage betraf, bei weitem nicht so sicher wie Goode.
    Lord und Lady Ravensbrook standen nur wenige Meter von ihnen entfernt. Sie sah aschfahl aus, wirkte aber fest entschlossen, sich nichts anmerken zu lassen. Ihr Mann stützte sie. Hester war vorübergehend von ihrer Seite gewichen, vielleicht, um die Kutsche herbeizurufen.
    Ravensbrook hatte keine Skrupel, ihr Gespräch zu unterbrechen. »Mr. Goode! Ich muß mit Ihnen sprechen!«
    Goode drehte sich höflich um, aber dann fiel sein Blick auf Enid. Sein Gesichtsausdruck veränderte sich sofort, und an die Stelle des Erstaunens trat Besorgnis. Anscheinend hatte er sie noch nicht kennengelernt, ahnte aber, wer sie war.
    »Meine liebe Dame, Sie können sich doch keineswegs schon von Ihrer Krankheit erholt haben. Bitte erlauben Sie mir, einen behaglicheren Platz für Sie zu suchen, wo Sie warten können.«
    Ravensbrook erkannte mit einem Aufwallen von Ärger sein Versäumnis und stellte die beiden hastig vor. Goode verbeugte sich, ohne jedoch den Blick von Enids Gesicht abzuwenden. Unter den gegebenen Umständen war seine Aufmerksamkeit ein Kompliment, und sie konnte nicht umhin zu lächeln.
    »Vielen Dank, Mr. Goode. Ich werde wohl in meiner Kutsche warten. Ich bin sicher, Miss Latterly ist gleich zurück, und bis dahin komme ich schon zurecht. Es ist sehr freundlich von Ihnen, daß Sie daran gedacht haben.«
    »Aber überhaupt nicht«, versicherte er ihr. »Wir können Ihnen nicht erlauben, hier zu stehen, nicht einmal, bis Ihre Kutsche kommt. Ich hole Ihnen einen Stuhl.« Und ohne Ravensbrook und Rathbone weiter zu beachten, eilte er davon. Er mußte etwa zehn Meter weit gehen, um einen großen Holzstuhl zu finden, den er zu Enid trug und ihr anschließend half, darin Platz zu nehmen.
    Nachdem diese Angelegenheit erledigt war, wandte Ravensbrook sich wieder an Goode, ohne Rathbone irgendwelche Beachtung zu schenken.
    »Gibt es noch Hoffnung?« fragte er ohne weitere Umschweife. Sein Gesicht war immer noch starr und von den Nachwirkungen des Schocks gezeichnet.
    Rathbone entfernte sich höflich einen Schritt, obwohl er

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