Sein Bruder Kain
blieb, es zu ertragen und die Alpträume abzuschütteln, die sie quälten: Seite an Seite mit ihrer engen Freundin und Monks Gönnerin, Lady Callandra Daviot, und Dr. Kristian Beck tat sie alles in ihrer Macht Stehende, um einerseits das Elend zu lindern, wie klein ihr Beitrag auch sein mochte, und andererseits alles daranzusetzen, die Zustände, die diese Krankheiten zu Epidemien werden ließen, zu beseitigen.
An dem Tag, an dem Monk die Straßen nach jemandem, der Angus Stonefield gesehen hatte, absuchte, schrubbte Hester auf Händen und Knien den Fußboden eines Lagerhauses, das Enid Ravensbrook, eine weitere Frau, die über Geldmittel und ein mitleidiges Herz verfügte, ihnen zumindest vorübergehend zur Verfügung gestellt hatte, damit sie es nach dem Vorbild der Militärkrankenhäuser in Scutan als Fieberhospital herrichten konnten. Hester hatte das Gefühl, daß das Wasser, das sie verwendete, genauso infiziert war wie die Patienten, aber sie hatte jede Menge Essig hinzugefügt und hoffte, dieser würde seinen Zweck erfüllen. Dr. Beck hatte außerdem ein halbes Dutzend offener Kohleöfen beschafft, in denen sie Tabakblätter verbrennen konnten, eine in der Marine weit verbreitete Praxis, um die Zwischendecks auszuräuchern und auf diese Weise gegen das gelbe Fieber anzukämpfen. Callandra hatte mehrere Flaschen Gin gekauft, die im Medizinschrank verschlossen worden waren und benutzt werden sollten, um Töpfe, Tassen und Instrumente aller Art zu reinigen.
Hester hatte gerade den letzten Quadratmeter des Fußbodens bewältigt und war aufgestanden, beugte sich ein paarmal vor und zurück, um ihren steifen Rücken zu entspannen, als plötzlich Callandra auftauchte. Sie war eine Frau mit breiten Hüften, die ihre Jugend schon eine ganze Weile hinter sich hatte. Ihr Haar war immer unordentlich, aber heute übertraf es seine gewohnte Wildheit noch. Es stand in sämtliche Richtungen, und mehrere Haarnadeln drohten vollends den Halt zu verlieren. Nicht einmal als junge Frau konnte sie als schön gegolten haben, aber die Intelligenz und der Humor, die sich in ihren Gesichtszügen ausdrückten, verliehen ihm einen einzigartigen Charme.
»Fertig?« fragte sie fröhlich. »Hervorragend. Ich fürchte, wir werden jeden Zentimeter Platz brauchen, den wir finden können. Und natürlich Decken.« Sie ließ ihren Blick kurz durch das Zimmer schweifen und machte sich dann daran, es sorgfältig abzuschreiten, um genau festzulegen, wie viele Leute auf dem Boden Platz finden konnten, ohne einander zu berühren. »Ich hätte gern Pritschen«, fuhr sie fort, wobei sie Hester immer noch den Rücken zuwandte. Dann drehte sie sich um und begann, die Breite des Raums abzumessen. »Es gibt hier im Umkreis von Meilen keinen Abfallhaufen und keine Jauchegrube, die nicht schon jetzt überquellen.«
»Hat Dr. Beck schon mit dem Gemeinderat gesprochen?« fragte Hester, während sie nach ihrem Eimer griff und ans Fenster trat, um ihn auszuschütten. Es gab keine Abwasserkanäle, und das Wasser im Eimer enthielt so viel Essig, daß es der Gosse wohl eher zugute kommen als dort weiteren Schaden anrichten würde.
Callandra erreichte die andere Seite des Raums und verzählte sich. Sie hatte Kristian Beck schon vor dieser unglückseligen Sache im Royal Free Hospital vergangenen Sommer geliebt. Hester wußte das, aber es war ein Thema, über das sie niemals sprachen. Es war zu privat und zu schmerzlich. Die Tiefe, mit der Kristian ihre Gefühle erwiderte, verschlimmerte die Situation nur noch. Callandra war verwitwet, aber Kristians Frau lebte noch. Sie hatte schon lange aufgehört, ihn zu lieben, falls sie das überhaupt jemals in der Art, wie er es sich ersehnte, getan hatte, aber sie hielt zäh an ihren Rechten fest und an den damit verbundenen Annehmlichkeiten. Callandra konnte er nichts geben außer einer tiefen Freundschaft, Humor, Wärme, Bewunderung und der gemeinsamen Leidenschaft für Dinge, an die sie beide mit Begeisterung und Hingabe glaubten.
Schon die bloße Erwähnung seines Namens brachte sie noch heute aus der Fassung. Sie drehte sich um und begann von neuem, die Breite des Raums abzumessen.
Hester blickte aus dem Fenster, um sicherzugehen, daß unten niemand vorbeiging, bevor sie den Eimer ausleerte.
»Ich glaube, wir könnten ungefähr neunzig Leute hier unterbringen«, bemerkte Callandra. Dann zuckte es in ihrem Gesicht. »Ich wünschte bei Gott, ich könnte glauben, das wäre alles. Wir haben schon siebenundvierzig
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