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Sein Bruder Kain

Sein Bruder Kain

Titel: Sein Bruder Kain Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Perry
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Fähigkeit, sich und einen großen Teil der Dinge, die um ihn herum geschahen, unter Kontrolle zu halten. Er schien nie den Boden unter den Füßen zu verlieren.«
    »Kannten Sie seinen Bruder?« Monk war plötzlich sehr neugierig. »Seinen Bruder?« Niven war überrascht. »Ich wußte nicht, daß er einen Bruder hatte. Ist er in der gleichen Branche? Nein, sicher nicht. Das hätte ich gewußt. Genevieve… Mrs. Stonefield…« Er errötete leicht und wußte sofort, daß er sich verraten hatte. »Mrs. Stonefield hat nie einen anderen Verwandten als seinen Vormund aus Kinderzeiten erwähnt, Lord Ravensbrook«, fuhr er fort. »Und soweit ich mich erinnere, hat sie auch von ihm nur ein oder zweimal gesprochen. Sie schienen als Familie sehr selbstgenügsam zu sein.« Ein kaum wahrnehmbarer Schatten des Schmerzes huschte über seine Züge - oder war es Neid? Wieder einmal fühlte Monk sich jäh daran erinnert, wie überaus attraktiv Genevieve war, wie lebendig. Sie sprach nicht viel, und ihre Art, sich zu bewegen, war eher verhalten, aber trotzdem spürte man ein Feuer in ihr, das andere Frauen neben ihr verblassen ließ.
    »Ja«, erwiderte Monk, ohne sein Gegenüber aus den Augen zu lassen. »Er hatte einen Zwillingsbruder, Caleb, der gewalttätig und übel beleumundet ist, ein Tunichtgut, der immer an der Grenze zum Verbrechen steht, falls er diese nicht bereits überschritten hat.« Das war eine ziemliche Untertreibung, aber er wollte sehen, wie Niven darauf reagierte.
    »Ich glaube, da irren Sie sich, Sir«, sagte Niven leise. »Wenn es einen solchen Mann gäbe, wüßte man in der City davon. Angus' Ruf hätte durch die Existenz eines anderen Mannes mit seinem Namen und so unglücklichen Charaktereigenschaften sicher Schaden genommen. Ich bin seit fünfzehn Jahren in der City. So etwas hätte sich herumgesprochen. Wer auch immer Ihnen das erzählt hat, hat Sie getäuscht; oder Sie haben ihn mißverstanden. Und warum sagen Sie, er ›hatte‹ einen Bruder? Soll dieser Bruder vielleicht tot sein? Und warum bringen Sie den Namen dieses Burschen dann jetzt noch ins Spiel, wo er Angus nur schaden kann?« Plötzlich versteifte er sich in dem großen Sessel neben dem kalten Kamin. »Oder befürchten Sie, Angus selbst könne etwas Ernstes zugestoßen sein?«
    »Das war ein Versprecher«, gestand Monk. »Ich habe mich von Mrs. Stonefields Befürchtungen beeinflussen lassen. Sie glaubt, daß er nicht mehr lebt, sonst wäre er nach Hause gekommen oder hätte ihr zumindest eine Nachricht zukommen lassen, wo er sich befindet.«
    Niven schwieg eine Weile, tief in Gedanken versunken. Monk wartete.
    »Warum haben Sie diesen Bruder erwähnt, Mr. Monk?« fragte Niven. »Ist er eine Erfindung, oder glauben Sie, daß es ihn wirklich gibt?«
    »Oh, es gibt ihn«, entgegnete Monk. »Daran besteht kein Zweifel. Sie sind ihm nicht begegnet, weil er weder in der City arbeitet noch in einem der Vororte lebt. Seine Aktivitäten beschränken sich ganz auf das East End, und er nennt sich Stone statt Stonefield. Aber Angus hat den Kontakt zu ihm aufrechterhalten. Alte Bindungen sind anscheinend nicht so leicht aufzulösen.«
    Niven lächelte. »Das sieht Angus ähnlich. Er konnte keinen Freund fallenlassen und schon gar nicht einen Bruder. Ich nehme an, Sie haben mit diesem Mann gesprochen, und er kann Ihnen nichts weiter sagen?«
    »Ich habe ihn noch nicht gefunden«, erwiderte Monk. »Es ist nicht so leicht, seiner habhaft zu werden, und ich fürchte, er könnte sich als Kern des Problems erweisen, vielleicht sogar die Verantwortung für Angus' Verschwinden tragen. Ich stelle natürlich auch in andere Richtungen Nachforschungen an. So bedauerlich es ist, es gibt noch andere Erklärungsmöglichkeiten für sein Verschwinden.«
    »Man erlebt immer wieder Überraschungen mit Menschen«, gab Niven ihm recht. »Trotzdem glaube ich, Sie werden nicht feststellen, daß Angus in finanziellen Schwierigkeiten steckte, genausowenig wie Sie entdecken werden, daß er eine Geliebte hatte oder in Bigamie lebte und irgendwo anders noch eine zweite Ehefrau besaß. Wenn Sie ihn gekannt hätten, wie ich ihn kannte, würde Ihnen keiner dieser Gedanken in den Sinn kommen.« Nivens Gesicht war ernst und konzentriert. »Angus war grundehrlich, nicht nur, was seine Taten betraf, sondern auch hinsichtlich seines Denkens. Ich habe viel von ihm gelernt, Mr. Monk. Ich habe seine Rechtschaffenheit aufrichtig bewundert und mir gewünscht, seinem Beispiel nacheifern zu können.

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