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Sein Bruder Kain

Sein Bruder Kain

Titel: Sein Bruder Kain Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Perry
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dann Hester zu, wußte aber nichts zu sagen. Schließlich verabschiedete er sich mit dem Gefühl, etwas ungetan gelassen zu haben, das später einmal wichtig für ihn sein würde. Die Erleichterung, auf die er gehofft hatte, war nicht eingetreten.
    Nach seinem Abschied von Callandra nahm Monk alle Kraft zusammen, um der Flußpolizei im Themserevier der Wapping Stairs einen Besuch abzustatten und zu fragen, ob sie in den vergangenen sieben Tagen irgendwelche Leichen entdeckt hätten, auf die möglicherweise die Beschreibung von Angus Stonefield paßte.
    Der Sergeant sah ihn geduldig an. Monk kannte ihn nicht, war sich aber nicht sicher, ob der Mann vielleicht ihn kannte. Mehr als einmal hatte er festgestellt, daß man ihn wiedererkannte - und nicht mochte. Anfangs hatte er nicht recht gewußt, warum. Ganz allmählich begriff er dann, daß sein schneller Verstand und seine scharfe Zunge ihm die Ablehnung weniger begabter Männer eingetragen hatte, die sich nicht so gut auf den Umgang mit Worten verstanden wie er. Es war keine angenehme Erfahrung gewesen.
    Jetzt sah er dem Sergeant direkt in die Augen und verbarg seine eigenen Befürchtungen hinter einem offenen, ruhigen Blick.
    »Beschreibung?« fragte der Sergeant mit einem Seufzer. Wenn er Monk je zuvor gesehen hatte, schien er sich nicht daran zu erinnern. Natürlich hatte er damals sicher eine Uniform getragen. Das konnte durchaus des Rätsels Lösung sein.
    »Ungefähr meine Größe«, erwiderte er ruhig. »Dunkles Haar, ausgeprägte Gesichtszüge, grüne Augen. Seine Kleider müßten von bester Qualität gewesen sein, gut geschnitten, teurer Stoff.«
    Der Sergeant blinzelte. »Ein Verwandter, Sir?« Ein leichter Anflug von Mitleid huschte über sein grob geschnittenes Gesicht, und Monk wurde schlagartig bewußt, wie sehr die Beschreibung auch auf ihn paßte, ausgenommen die Augenfarbe. Und doch sah er keineswegs so aus wie die Skizze, die Enid Ravensbrook angefertigt hatte. In diesem anderen Gesicht lag eine Verwegenheit, die dem, was Genevieve und Arbuthnot über Angus Stonefield gesagt hatten, widersprach, auf seinen Bruder Caleb jedoch durchaus zutreffen könnte. Hatte Enid unbeabsichtigt mehr von Calebs Geist eingefangen? Oder war Angus doch nicht der friedfertige Mann, den seine Familie und seine Angestellten in ihm sahen? Führte er ein geheimes Doppelleben?
    Der Sergeant wartete.
    »Nein«, antwortete Monk. »Ich stelle für seine Frau Nachforschungen an. So etwas sollte eine Frau nicht tun müssen.«
    Der Sergeant zuckte zusammen. Er hatte zu viele bleiche, furchtsame Frauen erlebt, die genau das taten; Ehefrauen, Mütter, ja sogar Töchter, die genauso vor ihm gestanden hatten wie Monk jetzt, voller Angst und doch gleichzeitig von der Hoffnung erfüllt, daß die langen Qualen der Ungewißheit ein Ende finden mochten.
    »Wie alt?« fragte der Sergeant.
    »Einundvierzig.«
    Der Sergeant schüttelte den Kopf. »Nein, Sir. Niemand, auf den das zutrifft. Wir haben zwei Männer, einer nicht mehr als zwanzig, der andere dick, mit rotem Haar. Der könnte allerdings Ende Dreißig oder so gewesen sein, der arme Teufel.«
    »Vielen Dank.« Monk fühlte sich plötzlich erleichtert, was absurd war. Er war keinen Schritt weitergekommen. Wenn Angus Stonefield tot war, mußte er für Genevieve einen Beweis dafür finden. Wenn er sich einfach nur davongemacht hatte, würde das der schlimmere Schlag für sie sein, denn er würde sie nicht nur mittellos zurücklassen, sondern sie sogar des Trostes ihrer gemeinsamen Vergangenheit berauben. »Vielen Dank«, sagte er noch einmal, diesmal mit grimmigerer Stimme.
    Der Sergeant runzelte die Stirn, denn es fiel ihm schwer, seinen Besucher zu verstehen.
    Monk schuldete ihm keine Erklärung. Auf der anderen Seite konnte es durchaus sein, daß er ihn später noch einmal brauchen würde. Ein Freund war wertvoller als ein Feind. Er war entsetzt über seine eigene Dummheit in der Vergangenheit.
    Mit Arroganz bewirkte man immer nur das Gegenteil. Er biß sich auf die Lippen und schenkte dem Sergeant ein säuerliches Lächeln. »Ich glaube, der arme Mann ist tot. Wenn wir seine Leiche gefunden hätten, wäre das eine Erleichterung… in gewisser Weise. Natürlich würde ich gern daran glauben, daß er noch lebt, aber das ist unrealistisch.«
    »Ich verstehe«, meinte der Sergeant und schniefte. Der Ausdruck in seinen freundlichen Augen ließ keinen Zweifel daran, daß er tatsächlich verstand. Er hatte wahrscheinlich schon viele

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