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Sein Bruder Kain

Sein Bruder Kain

Titel: Sein Bruder Kain Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Perry
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Er war wirklich ein Mann, dessen höchstes Ziel wahre Güte war, wichtiger noch als Reichtum oder Ansehen oder die Freuden, die sein Erfolg ihm verschaffen konnte.« Er beugte sich zu Monk vor. »Und er wußte, was wahre Güte bedeutete! Er verwechselte sie nicht einfach mit der Abwesenheit äußerlich sichtbarer Laster. Er wußte, was wahre Güte ausmachte: Ehre, Großzügigkeit, Treue, Toleranz anderen gegenüber und die Gabe der Dankbarkeit ohne eine Spur von Arroganz.«
    Monk war überrascht, nicht nur von dem, was Niven sagte, sondern von der Tiefe seiner Gefühle.
    »Sie sprechen sehr gut von ihm, Mr. Niven, vor allem, wenn man bedenkt, daß er größtenteils für Ihr gegenwärtiges Unglück verantwortlich ist«, sagte er, während er sich erhob.
    Niven lief rot an und stand ebenfalls auf.
    »Ich habe meinen Wohlstand und meine Position verloren, Sir, aber nicht meine Ehre. Was ich sage, ist nichts Geringeres als meine ehrliche Meinung.«
    »Das merkt man«, erwiderte Monk mit einer flüchtigen Neigung seines Kopfes. »Vielen Dank, daß Sie mir Ihre Zeit geopfert haben.«
    »Ich fürchte, ich konnte Ihnen kaum weiterhelfen.« Niven ging auf die Tür zu.
    Monk sah sich nicht veranlaßt, ihm zu erklären, daß er nicht gekommen war, um etwas über Angus von ihm zu erfahren, sondern sich lediglich ein Bild darüber hatte machen wollen, wie wahrscheinlich es war, daß Niven selbst Angus beiseite geschafft haben könnte. Er war ein Mann von rascher Auffassungsgabe, aber auch von einer gewissen Naivität. Es wäre unnötig grausam gewesen, einen solchen Verdacht durchblicken zu lassen.
    Er verwandte noch ein wenig Zeit auf den Versuch, in Angus' Bekannten und Kollegenkreis Näheres über ihn zu erfahren, aber nichts unterschied sich von dem Bild, das man ihm bereits gezeichnet hatte. Die Stonefields erfreuten sich mehrerer angenehmer Freundschaften, hatten aber nur selten Gäste. Am wohlsten schienen sie sich im Familienkreis gefühlt zu haben, und es gab nur gelegentlich einmal einen Besuch im Konzert oder im Theater. Ihr Lebensstandard entsprach durchaus ihren finanziellen Mitteln, obwohl diese Mittel spärlicher fließen würden, wenn Mrs. Stonefield keine Erträge mehr aus dem Geschäft erzielen würde. Und da er offiziell noch immer die Geschäfte leitete, hatte Genevieve selbst kein Recht darauf und konnte auch keine Erbschaft antreten.
    »Was soll ich nur tun?« fragte sie verzweifelt, als Monk sie am Ende eines langen und fruchtlosen Tages aufsuchte, neun Tage nach Angus' Verschwinden. »Was ist, wenn sie Angus'…
    Leiche… niemals finden?« Ihre Stimme klang brüchig, und es kostete sie sichtbare Mühe, ihre Fassung zu bewahren.
    Monk sehnte sich danach, sie zu trösten, und konnte doch nicht lügen. Er spielte mit dem Gedanken. Er ging im Geiste alle Möglichkeiten durch und zog jede einzelne noch einmal ganz ernsthaft in Erwägung. Aber er konnte sich nicht dazu überwinden, die Worte auszusprechen.
    »Es gibt andere Möglichkeiten, die Behörden davon zu überzeugen, daß ein Todesfall vorliegt, Mrs. Stonefield«, antwortete er ihr. »Vor allem an einem Ort, an dem ein gezeitenabhängiger Fluß wie die Themse ins Spiel kommt. Allerdings werden die Behörden verlangen, daß vorher alle anderen Möglichkeiten ausgeschlossen worden sind.«
    »Sie werden nichts finden, Mr. Monk«, sagte sie tonlos. Sie standen im Salon. Es war kalt. Man hatte kein Feuer gemacht und auch keine Lampen angezündet. »Ich verstehe, warum Sie das tun müssen, aber Sie verschwenden Ihre Zeit - und meine«, fuhr sie fort. »Und ich habe mit jedem Tag, der vergeht, immer weniger Zeit.« Sie wandte sich ab. »Ich wage es nicht, auch nur kleinste Summen für etwas anderes als dringend notwendige Dinge auszugeben, Nahrungsmittel und Kohle. Ich weiß nicht, wie lange das Geld noch reichen wird. An Dinge wie Stiefel darf ich nicht einmal denken, und James wächst aus den seinen langsam heraus. Seine Zehen drücken schon gegen das Leder. Ich wollte gerade welche kaufen…« Sie sprach nicht weiter, denn es war offensichtlich, was sie sagen wollte, und es fiel ihr zu schwer, es schon wieder auszusprechen.
    »Wollen Sie nicht noch einmal darüber nachdenken, Lord Ravensbrooks Angebot anzunehmen, zumindest vorübergehend?« fragte Monk. Er konnte verstehen, daß es ihr widerstrebte, vom Wohlwollen eines anderen abhängig zu sein, aber dies war nicht der rechte Zeitpunkt, um sich von Stolz leiten zu lassen.
    Sie holte tief Luft. Die Muskeln

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