Sein Bruder Kain
nicht das Haus selbst betreten hatte, aber jetzt war er augenscheinlich in großer Not.
»Guten Abend, Sir«, sagte Niven zögernd, den Blick auf Monks Gesicht geheftet.
»Mr. Titus Niven?« fragte Monk nach, als gäbe es da irgendeinen Zweifel.
»Ja, Sir?«
»Mein Name ist Monk. Mrs. Stonefield hat mich beauftragt, den gegenwärtigen Aufenthaltsort von Mr. Stonefield in Erfahrung zu bringen.« Es hatte keinen Sinn, länger um den heißen Brei herumzureden. Wenn er nur Fragen stellte, die den eigentlichen Kern des Problems verschleierten, war das reine Zeitverschwendung, und die Zeit wurde ohnehin schon knapp, da er bisher nichts erreicht hatte. Es war nun acht Tage her, seit Angus zum letztenmal gesehen worden war.
»Kommen Sie herein, Sir.« Niven hielt ihm die Tür auf und trat einen Schritt zurück, damit Monk an ihm vorbeigehen konnte. »Der Abend ist zu scheußlich, um draußen auf der Schwelle stehenzubleiben.«
»Vielen Dank.« Monk ging ins Haus und begriff beinahe sofort, wie furchtbar Titus Nivens Sturz gewesen sein mußte. Das Haus war geschmackvoll und offensichtlich für bessere Zeiten erbaut worden. Es befand sich in hervorragendem Zustand. Die Vorhänge waren exquisit und würden wahrscheinlich als letztes der Notwendigkeit des Verkaufs zum Opfer fallen. An den Wänden hingen schon keine Bilder mehr, obwohl er mit seinem geübten Blick erkennen konnte, wo sich die Bilderhaken befunden hatten. Es fanden sich auch keine Zierstücke in dem Raum, abgesehen von einer schlichten, nicht sehr teuren Uhr - die, nach den Vorhängen zu urteilen, nicht im mindesten Nivens Geschmack entsprach. Die Möbel waren von guter Qualität, aber es gab viel zu wenige davon. Kahle Stellen sprangen dem Betrachter förmlich ins Auge, und das Feuer in dem großen Kamin war ein bloßes Glimmen vereinzelter Kohlen, mehr eine Geste als eine Quelle der Wärme.
Monk sah Niven an und las in seinem Gesicht, daß Worte überflüssig waren. Niven hatte begriffen, daß sein Gast verstanden hatte. Weder ein Kommentar noch eine Entschuldigung würden seinem Zweck dienen, sondern nur den Schmerz, der schon real genug war, noch vergrößern.
Monk stand mitten im Raum. Es wäre ihm irgendwie anmaßend erschienen, sich zu setzen, bevor man ihn dazu aufforderte, so als verringerte die Armut des Mannes sein Ansehen als Gastgeber.
»Ich darf davon ausgehen, daß Sie wissen«, begann er, »oder vermuten, daß Angus Stonefield verschwunden ist. Niemand weiß, warum. Um seiner Familie willen ist es von größter Wichtigkeit, daß er gefunden wird. Mrs. Stonefield steht, was nur natürlich ist, größte Angst aus, er könne erkrankt, überfallen oder auf eine andere Art und Weise zu Schaden gekommen sein.«
Niven sah ihn mit aufrichtiger Besorgnis an. Wenn diese Regung nur vorgetäuscht war, war er ein hervorragender Schauspieler. Aber das war natürlich möglich, und es wäre nicht das erstemal gewesen, daß Monk so etwas erlebte.
»Es tut mir leid«, sagte Niven leise. »Die arme Mrs. Stonefield. Ich wünschte, ich wäre in der Lage, ihr meine Hilfe anbieten zu können.« Er zuckte die Achseln und lächelte. »Aber wie Sie sehen, kann ich mir kaum selbst helfen. Ich habe Angus seit - oh, dem achtzehnten - nicht mehr gesehen. Ich war in seinem Geschäft. Aber ich denke, das wissen Sie sicher…«
»Ja, Mr. Arbuthnot hat es mir erzählt. Welchen Eindruck machte Mr. Stonefield damals auf Sie? Wie benahm er sich?«
Niven deutete auf das Sofa und nahm selbst in einem der beiden letzten großen Sessel Platz. »Genau wie immer«, antwortete er, sobald Monk Platz genommen hatte. »Gelassen, höflich, ganz Herr seiner selbst und seiner Angelegenheiten.« Er runzelte die Stirn und warf Monk einen ängstlichen Blick zu.
»Das sollte keine Kritik sein. Ich wollte damit nicht andeuten, daß er irgendwie arrogant war. Ganz im Gegenteil. Er zeigte sich immer ausgesprochen liebenswürdig. Und seine Angestellten werden Ihnen bestätigen, daß er ein großzügiger Herr war; er benahm sich nicht unvernünftig, und hatte auch keinen Hang zur Grobheit.«
»Was wollen Sie damit sagen, Mr. Niven?«
Monk sah ihn genau an, aber er konnte keine Spur von Verlegenheit oder Unaufrichtigkeit entdecken, nur ein Suchen nach Worten und jenes Aufschimmern von Humor und Selbstironie, das ihm zuvor schon aufgefallen war.
»Wahrscheinlich wollte ich damit sagen, daß Angus sein Leben sehr gut im Griff hatte. Er machte kaum jemals einen Fehler oder verlor die
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