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Sein Bruder Kain

Sein Bruder Kain

Titel: Sein Bruder Kain Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Perry
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mit Zorn zu reagieren.
    »Ich habe Ihnen die Wahrheit gesagt, Mylord. Wäre es Ihnen lieber, ich würde Ihnen erzählen, daß es ihr bessergeht, auch wenn das nicht stimmt?«
    »Es geht nicht darum, was Sie sagen, Ma'am, es geht um die Art, wie Sie es sagen«, erwiderte er. Er würde nicht nachgeben.
    Er hatte sie kritisiert, und daher mußte sie im Unrecht sein. Er würde ihr verzeihen, wann er es wollte. »Ich werde so bald wie möglich einen Arzt kommen lassen - noch innerhalb der nächsten Stunde. Ich wäre dankbar, wenn Sie hierbleiben würden, bis er meine Frau untersucht hat. Danach können Sie, falls er damit einverstanden ist, für kurze Zeit zu Ihren Patienten in Limehouse zurückkehren, vorausgesetzt, der Arzt ist der Meinung, daß Sie nicht noch mehr Ansteckungsgefahr ins Haus tragen sollten. Ich bin sicher, das ist auch Ihr Wunsch.«
    Sie wollte gerade einen Einwand erheben, aber er ließ ihr keine Gelegenheit dazu. Statt dessen wandte er sich an Genevieve.
    »Es freut mich, daß du kommen konntest, meine Liebe. Du bist nicht nur Enid eine große Hilfe, sondern gibst mir damit auch die Möglichkeit, dir in deinen gegenwärtigen Schwierigkeiten ein wenig beizustehen.« Sein Gesicht wurde ein klein wenig weicher, eine Spur von Zärtlichkeit legte sich um seinen Mund und war einen Augenblick später wieder verschwunden. »Und ich meine, daß wir als Familie in dieser schwierigen Zeit zusammenhalten und einander stützen sollten, falls es wirklich zum Schlimmsten kommt.« In seinem Gesicht zuckte es unwillkürlich. »Ich hoffe aufrichtig, daß das nicht passieren wird. Vielleicht stellen wir ja fest, daß es einen Unfall gegeben hat - etwas, das wieder in Ordnung gebracht werden kann. Caleb ist gewalttätig ja, er hat beinahe alle positiven Eigenschaften verloren, die er in seiner Jugend besaß -, aber es fällt mir schwer zu glauben, daß er Angus ganz bewußt verletzen würde.«
    »Er haßt ihn«, sagte Genevieve, und aus ihrer Stimme klang eine innere Erschöpfung, die viel tiefer ging, als es die eine Nacht, in der sie Enid gepflegt hatte, die Schlaflosigkeit oder die Angst vor der Krankheit hätte erklären können. »Du weißt ja nicht, wie sehr!«
    »Aber du auch nicht, meine Liebe«, sagte er, ohne noch einen weiteren Schritt in ihre Richtung zu machen. »Alles, was du gehört hast, ist Angus' Angst entsprungen und seinem überaus natürlichen Kummer über diese Situation und die negativen Veränderungen im Charakter seines Bruders. Ich weigere mich zu glauben, daß bereits alles verloren ist.«
    »Vielen Dank«, flüsterte sie. Einen Augenblick lang leuchtete echte Dankbarkeit in ihrem Gesicht auf, und die plötzliche, neu geschöpfte Hoffnung ließ sie verletzlich wie ein Kind aussehen.
    Hester wußte nicht, ob sie wütend auf ihn sein sollte, weil er diese Gedanken wieder in ihr hatte aufleben lassen, oder ob er ihr leid tun sollte wegen seines eigenen Schmerzes. Sie stellte sich den jungen Mann, der er gewesen sein mußte, vor, wie er zwei verwaiste kleine Knaben aufnahm und sie im Laufe der Zeit als seine eigenen Söhne betrachtete, wie er sie in seine Träume einschloß, wie er sie in die Künste und Wahrheiten des Lebens einwies und seine Erfahrungen und Ansichten mit ihnen teilte. Und dann mußte die Desillusionierung gekommen sein, während einer der beiden Jungen sich langsam zum Schlechten hin veränderte, böse wurde und sich Schritt für Schritt auf tragische Weise selbst zerstörte. Er hatte alles Gute, alle Sanftheit und alles Streben nach Tugend in sich ausgemerzt, bis er zu guter Letzt ganz allein dastand und sich einer Art Verzweiflung überließ. Gewiß wurde ein Mensch nur aus Verzweiflung zu dem, was Caleb Stone heute verkörperte.
    Kein Wunder, daß Milo Ravensbrook im Krankenzimmer seiner Frau stand und sich weigerte zu glauben, daß ein Bruder den anderen ermordet haben konnte. Ihm drohte der Verlust all der Menschen, die er liebte, bis auf Genevieve und ihre Kinder, die durch Angus die letzten waren, in denen noch sein Blut floß.
    Langsam wandte er sich ab und sah Enid an, dann versteifte er sich und ging mit bleichem Gesicht hinaus, unfähig, noch ein weiteres Wort zu sagen.
    Gegen Mittag war der Arzt dagewesen und bereits wieder gegangen; auch er hatte kaum mehr als Mitleid anzubieten gehabt. Hester wollte gerade nach Limehouse aufbrechen, als sie in der Halle beinahe mit Monk zusammenstieß. Sie blieb abrupt stehen, eine Sekunde, nachdem auch er sie erkannt hatte.
    »Was

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