Sein Bruder Kain
machen Sie denn hier?« wollte er wissen, aber in seinem Gesicht stand deutliche Erleichterung.
Trotz bester Vorsätze spürte sie, wie eine Woge der Freude in ihr aufstieg. Sie hatte nicht die Absicht, sich diesen Umstand zu erklären oder vor sich selbst zu rechtfertigen.
»Lady Ravensbrook ist krank. Ich pflege sie«, erwiderte sie.
In seinen Augen leuchtete ein Funke von schwarzem Humor auf, beinahe eine Art perverser Befriedigung. »Sie sind Limehouse aber ziemlich schnell leid geworden, wie? Was ist mit Callandra? Ist sie jetzt ganz allein dort, nachdem Sie und Lady Ravensbrook gegangen sind?«
»Ich bin gerade auf dem Weg dorthin«, erwiderte sie scharf und mit unüberhörbarem Zorn.
»Sehr intelligent«, sagte Monk sarkastisch. »Dann können Sie den Typhus gleich hierher zurückbringen, damit Lady Ravensbrook den auch noch bekommt. Ich hätte nicht gedacht, daß Sie so dumm sind! Weiß Lord Ravensbrook davon? Vielleicht ist ihm die Tragweite des Ganzen nicht klar, aber von Ihnen hätte ich mehr erwartet.«
»Sie hat bereits Typhus«, erwiderte sie und sah ihm direkt in die Augen. »Das ist das Risiko, das man eingeht, wenn man Fieberpatienten pflegt. Aber wie Sie bereits bemerkt haben, Callandra hat sehr wenig Hilfe, abgesehen von einigen ortsansässigen Frauen, die willig sind, aber keine Erfahrung haben. Der einzige, der ihr sonst noch zur Seite steht, ist Kristian. Sie müssen sich ein wenig ausruhen, daher, denke ich, werden sie sich wohl abwechseln. Sie brauchen jemanden, der ihnen eine Weile zur Hand geht, sei es auch nur, damit sie das Hospital verlassen können, um weitere Vorräte zu besorgen.«
Sein Gesicht war blaß, und er sah aufrichtig erschüttert aus.
»Wird sie sich davon erholen?« fragte er nach einem Augenblick des Schweigens.
»Ich hoffe es. Sie wird natürlich sehr müde sein, aber Kristian wird alles tun, was in seiner Macht steht, um… «
»Nicht Callandra, Sie Närrin«, fiel er ihr ins Wort. »Ich spreche von Lady Ravensbrook. Sie sagten, sie hätte Typhus.«
»Ja. Sie scheinen es nur sehr langsam zu begreifen, aber das ist der Grund, warum ich hier bin und mich um sie kümmere.«
»Und warum gehen Sie jetzt?« Er deutete mit dem Kopf auf die Hintertür, auf die sie zugesteuert war. »Geht es ihr denn gut genug, um allein gelassen zu werden?«
»Um Himmels willen, sie ist nicht allein«, fuhr sie ihn zornig an. »Genevieve Stonefield wird bei ihr sein, solange ich fort bin. Wir wechseln uns ab und tun alles, was wir können. Glauben Sie, ich würde einfach davonspazieren und eine Patientin allein lassen? Ich bin an Ihre grundlosen Kränkungen gewöhnt, aber selbst Sie müßten es eigentlich besser wissen.«
»Genevieve?« fragte er überrascht.
»Das ist es, was ich gesagt habe. Wahrscheinlich ist sie Ihre Klientin? Haben Sie irgendwelche Fortschritte gemacht? Als ich Sie das letzte Mal gesehen habe, schien Ihnen noch keinerlei Erfolg beschieden gewesen zu sein.«
»Ich verfüge jetzt über beträchtlich mehr Informationen«, antwortete er.
»Mit anderen Worten, nein«, deutete sie seine Feststellung.
»Glauben Sie wirklich, Sie haben genug Zeit und Talent, um neben Ihrer eigenen Arbeit auch meine zu machen?« fragte er mit einem neuerlichen Anflug von Sarkasmus. »Sie schätzen sich höher ein, als wohl gerechtfertigt ist.«
»Wen Sie zu Genevieve wollen«, entgegnete sie, »werden Sie wohl warten müssen. Sie kann Lady Ravensbrook nicht allein lassen, bevor ich zurückgekehrt bin.« Und mit diesen Worten ging sie an ihm vorbei und auf die Haustür zu; sie riß sie auf und überließ es dem Lakaien, sie hinter ihr zu schließen.
»Ich bin gekommen, um mit Lord Ravensbrook zu sprechen«, stieß Monk zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor. »Sie unglaublich törichtes Frauenzimmer!«
Nichtsdestoweniger suchte Hester, müde wie sie war, am Abend desselben Tages Monks Unterkunft in der Fitzroy Street auf, um ihm die allgemeinen Informationen, die sie im Haus der Ravensbrooks über Angus und Caleb Stonefield erhalten hatte, zu übermitteln. Es war nicht viel, aber es würde vielleicht weiterhelfen. Dabei ging es ihr nicht so sehr um Monk als um Genevieve.
Es war eine winterliche Nacht, und sie hatte den Kragen ihres Umhangs hochgeschlagen und um Hals und Kinn gezogen. An ihrem Ziel angelangt, überquerte sie den Bürgersteig und stieg die Treppe empor. Dann klopfte sie forsch an die Tür, bevor sie ihre Meinung ändern konnte.
Sie trat einen Schritt zurück
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