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Sein Bruder Kain

Sein Bruder Kain

Titel: Sein Bruder Kain Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Perry
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kühl und feucht war, als Hester danach griff. Ein Großteil des Honigwassers fehlte.
    »Was sollen wir tun?« fragte Genevieve, die direkt hinter ihr stand, mit verzweifelter Stimme.
    Es war wenig genug, was sie tun konnten, aber Hester hörte die Furcht und den Kummer aus Genevieves Stimme und spürte Mitleid mit ihr. Wenn sie tatsächlich Monks Auftraggeberin war, dann hatte sie im Augenblick genug eigene Sorgen.
    »Versuchen Sie nur, das Fieber herunterzudrücken«, erwiderte sie. »Lassen Sie sich noch mehr Wasser heraufbringen, mindestens zwei Krüge, und kühl soll es sein, nicht mehr als handwarm allerhöchstens. Und vielleicht sollten wir uns auch noch mit mehr frischen Tüchern und Laken versorgen lassen.«
    Genevieve machte sich daran, ihren Anweisungen zu folgen; sie war froh, überhaupt etwas tun zu können. Die Erleichterung stand ihr ins Gesicht geschrieben.
    Als das Wasser und die Tücher kamen, legte Hester alles auf den Tisch und zog die Bettdecke zurück, um sich ans Werk zu machen. Enids Nachthemd war schweißnaß und klebte ihr am Leib.
    »Ich glaube, wir ziehen ihr besser ein Unterhemd an«, meinte Hester. »Und wir müssen das Laken wieder wechseln. Es ist sehr zerknittert.« Sie streckte die Hand aus. »Und feucht.«
    »Ich hole saubere Laken«, sagte Genevieve sofort, und bevor Hester etwas erwidern konnte, stürzte sie davon und begann, die Schubladen des Wäscheschranks zu durchstöbern.
    Sie brachte das Unterhemd und ging dann gleich wieder fort, um ein Laken zu holen, während Hester Enid im Arm hielt und allein versuchte, ihr das durchnäßte Nachthemd auszuziehen. Enid tat, was sie nur konnte, aber sie war kaum bei Bewußtsein, und es war nur allzu offensichtlich, daß jede Berührung ihr weh tat und jede Bewegung ihr Schmerzen in Knochen und Gelenken verursachte. Hinzu kam, daß das Fieber ihre Sehkraft beeinträchtigte, so daß sie nichts richtig erkennen und nie einschätzen konnte, was ihre Hände zu fassen bekommen würden und was nicht.
    Hester war ganz darauf bedacht, ihr möglichst wenig zusätzliche Schmerzen zu bereiten.
    »Genevieve!« rief sie. »Bitte helfen Sie mir hier. Das Laken ist jetzt nicht so wichtig.«
    Genevieve wandte sich von dem Wäscheschrank, vor dem sie stand, ab. Ihr Gesicht war fahl, und ihr Haar hatte sich aus den Nadeln gelöst. Sie sah sehr müde aus.
    »Bitte«, sagte Hester noch einmal.
    Genevieve zögerte. Das Schweigen breitete sich zwischen ihnen aus, als hätte sie nicht gehört oder nicht verstanden, was Hester gesagt hatte. Dann kam sie, als koste es sie ungeheure Kraft, herüber, stellte sich auf die andere Seite des Bettes, beugte sich mit gesenktem Kopf vor und nahm Enids schlaffen Körper in ihre Arme.
    »Vielen Dank«, sagte Hester und zog der Kranken das Nachthemd über den Kopf. Schnell und so sanft sie nur konnte, wusch sie Enid am ganzen Körper mit kühlem Wasser ab. Genevieve trat wieder einen Schritt zurück, nahm ihr die benutzten Tücher ab, tauchte sie ins Wasser und wrang sie aus, bevor sie sie Hester zurückgab. Immer wieder wusch sie sich die Hände, ein oder zweimal, bis hinauf zum Ellbogen.
    »Ich hole das saubere Laken«, erbot sie sich, sobald die Arbeit beendet war.
    »Bitte, helfen Sie mir zuerst, ihr das Hemd überzustreifen, ja?« bat Hester.
    Genevieve holte tief Luft und schluckte heftig, aber sie tat, worum sie gebeten worden war. Sie streckte die Arme aus, und Hester sah, wie sich ihre Muskeln strafften und ihre Hände zitterten. Erst da wurde ihr bewußt, wie sehr die andere Frau sich davor fürchtete, sich ebenfalls anzustecken. Hester hatte den Eindruck, daß Genevieve kurz davorstand, sich zu übergeben, so groß war ihre Angst.
    Hester war nicht sicher, was sie empfand. Ein Wirrwarr widersprüchlichster Gefühle machte sich in ihr breit. Sie konnte es nur allzugut verstehen! Sie hatte bei ihren ersten Erfahrungen dieser Art dasselbe überwältigende Entsetzen verspürt. Jetzt hatte die Zeit ihr eine philosophischere Sichtweise vermittelt. Sie hatte Hunderte von Fällen erlebt, und die meisten ihrer Patienten waren gestorben, und doch hatte die Krankheit sie selbst nie befallen. Sie zog sich gelegentlich einmal eine Bronchitis oder Erkältung zu, aber nichts Ernsthaftes, obwohl auch das bisweilen unangenehm sein konnte.
    »Es ist unwahrscheinlich, daß Sie sich anstecken«, sagte sie laut. »Ich habe mich nie angesteckt.«
    Heiße Röte schoß in Genevieves Wangen.
    »Ich schäme mich, daß ich solche Angst

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