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Sein Bruder Kain

Sein Bruder Kain

Titel: Sein Bruder Kain Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Perry
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Gesicht und las die Angst darin. Das war alles, was er sehen konnte, eine große, verzehrende Angst. Verbarg sie damit den Kummer, den sie nicht zu zeigen wagte, zumindest nicht jetzt, wo noch so viel zu tun und sie nicht allein war, um ungestört weinen zu können? Oder steckten andere Gründe dahinter, handelte sie aus Gier nach Geld, Besitz und einem überaus gutgehenden Geschäft, das ihr, wenn sie als Witwe anerkannt wurde, ganz allein gehören würde?
    Vielleicht mußte Monk, wenn er nicht nur ihr, sondern auch Angus gegenüber seine Pflicht tun wollte, Genevieve ein wenig ausführlicher befragen. Es war ein häßlicher Gedanke, und es wäre ihm weit lieber gewesen, wenn er ihm nie in den Sinn gekommen wäre, aber jetzt, da es einmal geschehen war, konnte er ihn nicht mehr ignorieren.
    »Vor kurzem haben Sie noch davon gesprochen, das Geschäft zu verkaufen, solange es noch in gutem Ruf steht und Gewinne abwirft«, bemerkte er. Es war eigentlich unwichtig - auch diese Möglichkeit stand ihr im Augenblick nicht offen -, aber es interessierte ihn, warum sie ihre Meinung geändert hatte.
    »Haben Sie jemanden im Sinn, der die Leitung übernehmen könnte?«
    »Ich weiß es nicht.« Sie beugte sich vor, und ihre üppigen Röcke fielen bis über das Kamingitter. Sie schien es nicht zu bemerken. »Vielleicht wäre dies besser, als zu verkaufen. Dann könnten all unsere Angestellten bleiben. Auch daran müßte man denken.« Sie brannte darauf, ihn zu überzeugen. »Und es würde unsere Zukunft sichern… etwas, das meine Söhne erben könnten. Das ist besser als etwas Geld, das erschreckend schnell aufgebraucht sein wird. Ein einziger falscher Rat, ein törichter junger Mann, der sich von älteren Menschen nicht gängeln lassen will, weil er sie für unbeweglich und phantasielos hält. Das ist alles schon dagewesen.«
    Er beugte sich vor und schob ihren Rock beiseite, aus Angst, ein Stückchen Kohle, das aus dem Kamin rollte, oder ein Funke könnte ihr Kleid in Brand setzen.
    Sie bemerkte es kaum.
    »Schauen Sie nicht ein wenig zu weit in die Zukunft?« fragte er ein wenig kühl.
    »Das muß ich tun, Mr. Monk. Außer mir ist niemand da, der sich um diese Dinge kümmert. Ich habe fünf Kinder. Für die muß gesorgt werden.«
    »Da wäre immer noch Lord Ravensbrook!« rief er ihr in Erinnerung. »Er hat sowohl die Mittel als auch den Einfluß, und er scheint mehr als bereit zu sein, Ihnen in jeder Hinsicht beizustehen. Ich glaube, Ihre Angst ist größer, als sie es unbedingt sein müßte, Mrs. Stonefield.« Er haßte es, aber es ließ sich nicht ändern: Sein Verdacht war geweckt. Vielleicht war die Beziehung zwischen ihr und ihrem Mann doch nicht so ideal gewesen, wie sie behauptet hatte. Möglicherweise war sie diejenige, deren Zuneigung ein anderes Ziel gefunden hatte, und nicht er? Sie war eine überaus attraktive Frau. In ihrem Wesen lag eine gewisse Leidenschaftlichkeit und eine Kühnheit, die weit tiefer gingen als bloße äußerliche Reize. Er fühlte sich selbst zu ihr hingezogen und sah sie fasziniert an, auch wenn sein Verstand dabei einige Tatsachen gegeneinander abwog.
    »Und ich habe bereits versucht, Ihnen zu erklären, Mr. Monk, daß ich meine Freiheit nicht verlieren will, daß ich nicht von Lord Ravensbrooks Wohlwollen abhängig sein will«, fuhr sie fort, und die Gefühle, die sie nicht länger verbergen konnte, schnürten ihr nun hörbar die Kehle zu. »Ich werde das nicht zulassen, Mr. Monk, nicht, solange ich irgendeine Möglichkeit sehe, es zu verhindern. Meine Angst wächst von Tag zu Tag, aber noch bin ich nicht gänzlich am Ende meiner Weisheit. Und ob Sie es glauben oder nicht, ich tue, was mein Mann gewünscht hätte. Ich habe ihn gut gekannt, auch wenn Sie noch so sehr davon überzeugt sein mögen, daß ich mich da vielleicht irre.«
    »Ich zweifle nicht daran, daß Sie Ihren Mann kannten, Mrs. Stonefield.« Es war untypisch für ihn, zu einer Lüge Zuflucht zu nehmen. Er wußte nicht so genau, warum er das tat, abgesehen davon, daß er vielleicht das Bedürfnis verspürte, sie zu trösten. Er konnte sie aber kaum in den Arm nehmen und verspürte auch keinerlei Neigung dazu. Er pflegte seine Gefühle nicht durch Berührungen auszudrücken. Ob er das in der Vergangenheit jemals getan hatte, vermochte er nicht zu sagen.
    »Doch, das tun Sie sehr wohl«, entgegnete sie mit einem verkniffenen Lächeln und einem Anflug bitteren Humors. »Sie haben jede andere Möglichkeit erwogen, abgesehen von

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