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Sein Bruder Kain

Sein Bruder Kain

Titel: Sein Bruder Kain Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Perry
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der einen, daß Caleb ihn getötet haben könnte, weil Sie diese anderen Dinge für wahrscheinlicher hielten.« Sie lehnte sich auf ihrem Stuhl zurück und bemerkte nun endlich, daß ihr Rock dem Kamingitter zu nahe kam, und zog ihn automatisch zurück.
    »Und ich kann Ihnen wohl keinen Vorwurf daraus machen. Ich schätze, jeden Tag verläßt irgendein Mann Frau und Kinder entweder des Geldes oder einer anderen Frau wegen. Aber ich kannte Angus. Er war ein Mann, für den Unehrenhaftigkeit nicht nur verabscheuungswürdig, sondern geradezu erschreckend gewesen wäre. Er hat sie gemieden, wie ein anderer Mann vielleicht die Berührung mit Pest und Aussatz vermieden hätte.« Nun geriet ihre Stimme trotz größter Bemühungen, Haltung zu bewahren, außer Kontrolle. »Er war wirklich und wahrhaftig ein guter Mann, Mr. Monk, ein Mann, der um die Häßlichkeit und Verderbnis des Bösen wußte. Es gibt keine Maske, unter der es ihn hätte locken können.«
    Sein Verstand sagte ihm, daß hier eine zutiefst bekümmerte Frau sprach, die ihren Mann mit den Augen der Liebe gesehen hatte, und sein Instinkt sagte ihm, daß es die Wahrheit war. So hatte sie Angus immer gesehen, und obwohl er sie von ganzem Herzen dafür bewunderte, wußte er auch, daß es sie zu Zeiten wütend gemacht oder bedrückt hatte.
    »Jetzt sind so viele Tage vergangen«, sagte sie sehr leise, »daß ich fürchte, niemand kann noch beweisen, was ihm wirklich widerfahren ist.«
    Er fühlte sich schuldig, was natürlich unsinnig war. Selbst wenn er Angus noch am Tag seines Verschwindens hätte folgen können, wäre es doch unwahrscheinlich gewesen, Caleb den Mord an seinem Bruder nachzuweisen. In Limehouse gab es genug Möglichkeiten, sich einer Leiche zu entledigen - der Fluß war dort sehr tief, und die Ebbe trug jegliches Treibgut aufs Meer hinaus, es herrschte ein ständiges Kommen und Gehen von Frachtschiffen, und gerade jetzt gab es auch noch die Massengräber der Typhusopfer.
    Er legte noch etwa ein Dutzend Kohlen ins Feuer.
    »Man braucht nicht immer eine Leiche, um den Tod zu beweisen«, sagte er vorsichtig, ohne sie eine Sekunde lang aus den Augen zu lassen. »Obwohl es dann möglicherweise sehr viel schwieriger sein wird, einen Mord und Calebs Schuld zu beweisen.«
    »Ich interessiere mich nicht für Calebs Schuld.« Auch sie sah ihm unverwandt in die Augen. »Gott wird sich seiner annehmen.«
    »Aber Ihrer nicht?« fragte er. »Ich hätte gedacht, daß Sie seine Gnade viel mehr verdient hätten… und sie viel dringender brauchten.«
    »Ich kann nicht auf Mildtätigkeit warten, Mr. Monk«, antwortete sie mit einer gewissen Schärfe.
    Er lächelte. »Ich entschuldige mich. Natürlich nicht. Aber ich würde mich ganz gern ein wenig mit Caleb beschäftigen, bevor ich darauf warte, daß Gott es tut. Ich versuche, was möglich ist, und bin der Sache viel näher gekommen als bei unserer letzten Unterredung. Ich habe einen Zeugen gefunden, der Angus am Tag seines Verschwindens in Limehouse gesehen hat, in einer Taverne, in der er sich mit Caleb getroffen haben könnte. Ich werde noch andere Zeugen finden. Das dauert seine Zeit, aber die Leute werden reden. Es geht nur darum, die Richtigen zu finden und sie zu überreden, sich zu offenbaren. Am Ende werde ich auch Caleb selbst kriegen.«
    »Werden Sie…« Sie schien sich neue Hoffnung zu machen, wollte es sich aber nicht gestatten. »Es ist mir wirklich nicht wichtig, ob Sie beweisen können, daß es Caleb war.« Der Anflug eines Lächelns spielte um ihren Mund. »Ich weiß nicht einmal, was Angus gewollte hätte. Ist das nicht absurd? Obwohl sie so völlig verschieden waren und Caleb ihn gehaßt hat, liebte er Caleb. Man hatte den Eindruck, als würde er das Kind, das er gewesen war, und die guten Zeiten, die sie zusammen verbracht hatten, bevor sie sich zerstritten, einfach nicht vergessen können. Jedesmal, wenn er zu Caleb nach Limehouse fuhr, tat es ihm in der Seele weh, aber er wollte einfach nicht aufgeben.«
    Sie wandte den Blick ab. »Manchmal dauerte es Wochen, vor allem nach einem besonders schlimmen Besuch dort, aber dann wurde er wieder weich und fuhr hin. Bei diesen Gelegenheiten blieb er sogar länger fort, als müsse er etwas wiedergutmachen. Ich nehme an, Kindheitsbande reichen weiter zurück.«
    »Hat er Ihnen viel von seinen Besuchen bei Caleb erzählt?« erkundigte er sich. »Hat er Ihnen irgendeinen Fingerzeig gegeben, wo sie sich trafen oder sich aufgehalten haben? Wenn Ihnen irgend

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