Sein Bruder Kain
langsam.
»Wollen Sie das auf der Treppe besprechen? Sie haben neugierige Nachbarn, im Stockwerk über Ihrer Wohnung und wer weiß wo sonst noch.«
»Fanny Bragg? Eifersüchtige alte Kuh. Ja, sie würde mir liebend gern einen Eimer Schmutzwasser über den Kopf gießen. Kommen Sie mit rein.« Mit diesen Worten holte sie einen Schlüssel aus der Tasche, steckte ihn ins Schlüsselloch, drehte ihn um und ließ Monk eintreten.
Der Raum war dunkel und wurde nur von einem einzigen Fenster erhellt, das zudem unterhalb der Straße lag, aber er war größer, als es von außen den Anschein gehabt hatte, und überraschend sauber. Der schwarze Kanonenofen verströmte beträchtliche Wärme, und auf dem Fußboden lag ein aus Stoffresten geknüpfter Teppich. Das Mobiliar bestand aus drei verschiedenfarbigen Sesseln, die unterschiedlich stark geflickt waren, aber allesamt recht bequem wirkten, und einem großen Bett, das in der Dunkelheit am anderen Ende des Raums stand und ordentlich gemacht und mit einer Flickendecke verhüllt war.
Er schloß die Tür hinter sich und sah sie mit neu erwachter Aufmerksamkeit an. Was sie auch sein mochte, sie hatte ihr Bestes gegeben, um aus dieser winzigen Behausung ein Heim zu machen.
»Nun?« fragte sie. »Sie kommen also von Angus' Frau. Worum geht's? Warum sind Sie hier? Was will sie von mir?« Ihre Lippen verzogen sich zu einer Grimasse, die er nicht deuten konnte. Ihre Stimme hatte plötzlich einen anderen Klang. »Oder suchen Sie in Wirklichkeit Caleb?« Ein ganzes Spektrum von Gefühlen verbarg sich hinter der einfachen Art, wie sie seinen Namen aussprach. Sie hatte Angst vor ihm, und doch verweilte ihre Zunge bei seinem Namen, als sei er ihr unendlich kostbar, als brauche sie eine Entschuldigung dafür, ihn noch einmal auszusprechen.
»Ja, Caleb suche ich auch«, entgegnete er. Sie hätte ihm nicht geglaubt, wenn er etwas anderes gesagt hätte.
»Warum?« Sie rührte sich nicht von der Stelle. »Sie hat sich bisher auch nicht um mich gekümmert. Warum jetzt? Angus kommt ab und zu her, aber sie ist nie mitgekommen.«
»Aber Angus kommt?« hakte er vorsichtig nach.
Sie starrte ihn an. In ihren Augen stand eine gewisse Furcht, aber auch unübersehbarer Trotz. Sie würde Caleb nicht verraten, ob nun aus Liebe zu ihm oder aus Eigennutz, weil er auf irgendeine Weise für sie sorgte, oder weil sie seine Brutalität kannte und wußte, was er möglicherweise mit ihr anstellen würde, wenn sie ihn verriet. Das konnte Monk nicht herausfinden. Doch er hätte es gern gewußt. Trotz der Verachtung, die er anfänglich für sie empfunden hatte, sah er in ihr nun doch mehr als nur eine Möglichkeit, Caleb zu finden, mehr als eine Frau, die sich einfach nur um des Überlebens willen einem brutalen Unhold angeschlossen hatte.
Er war schon davon ausgegangen, daß sie nicht mehr antworten würde, als sie schließlich doch zu sprechen begann.
»Er hat nichts für Angus übrig«, sagte sie bedächtig. »Er versteht ihn nicht.«
Etwas in ihrer Stimme, ein auffälliger Mangel an Ärger, brachte ihn auf den Gedanken, daß sie selbst dieses Gefühl nicht teilte, aber die Angelegenheit war viel zu heikel, um sie weiter zu verfolgen.
»Geht er jemals in die Stadt, um ihn zu besuchen?« fragte er statt dessen.
»Caleb?« Ihre Augen weiteten sich. »Nein, der doch nicht. Caleb geht nie in die Stadt. Zumindest nicht, daß ich wüßte. Sehen Sie mal, Mister, Caleb wohnt hier nicht. Er kommt bloß her, wenn ihm danach ist. Ich bin nicht sein Kindermädchen.«
»Aber Sie sind seine Frau…«
Plötzlich wurden ihre Züge weicher. Die harten Linien des Zorns und des Selbstschutzes verschwanden, machten sie um Jahre jünger und ließen sie in dem diffusen Licht einen Augenblick lang wie die Fünfundzwanzigjährige aussehen, die sie gewesen wäre, wenn sie an Genevieves oder Drusillas Stelle gestanden hätte.
»Ja«, erwiderte sie und reckte ihr Kinn ein klein wenig in die Höhe.
»Wenn er Sie darum bittet, gehen Sie also in die Stadt zu Angus.« Er ließ seine Worte wie eine Feststellung klingen, nicht wie eine Frage.
Wieder reagierte sie mit äußerster Wachsamkeit. »Ja. Er hat mich manchmal hingeschickt, wenn er knapp bei Kasse war. Aber in seinem Haus bin ich nie gewesen. Wüßte nicht mal, wo es ist.«
»Aber Sie wissen, wo Sie sein Geschäft finden können.«
»Ja. Na und.«
»Sie sind am Morgen des achtzehnten Januar dort gewesen.« Sie zögerte nur einen Moment, ließ ihn keine Sekunde aus den
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