Sein eigen Fleisch und Blut: Thriller (German Edition)
fließen.
DS Costello sagte nichts. Sie musterte Alison McEwen. Troys Mutter starrte auf einen fernen Punkt auf dem Fußboden, damit sie den beiden Polizeibeamten nicht in die Augen blicken musste. Sie lehnte am Tisch, und obwohl sie erst vierundzwanzig war, wirkte sie viel älter. Dünne Haut hing von den knochigen Armen, die sie um sich geschlungen hatte. Ihre aufgesprungenen Lippen waren weiß, und die linke Seite ihres Mundes blutete. Sie wischte sich das Blut mit dem Handrücken ab und verschmierte es rot, als hätte sie gerade etwas verschlungen, das noch gelebt hatte.
Schließlich begann Costello doch zu sprechen, und in ihrer Stimme schwang keinerlei Mitleid mit. »Also noch einmal – wann haben Sie Ihren Sohn zum letzten Mal gesehen?«
Alison zuckte mit den Schultern, als wäre ihr die Frage zu schwierig, um sie zu beantworten. Zeit war für sie ein schwer fassbares Phänomen; sie kam, verging, zog an ihr vorbei und ließ sie hinter sich zurück.
Anderson trat langsam um den Tisch, dessen Fläche mit Brandnarben von Zigaretten bedeckt war, und schaute in Alisons Tasche, die oben offen war und auf dem Boden stand. Er stupste sie mit dem Fuß an und hörte eine halbleere Halbliterflasche Wodka klingeln.
Alison kratzte mit der spinnenartigen Hand über den Ärmel ihres Mantels.
»Haben Sie sich da im Park nicht wohl gefühlt?«
»Hab mich hingesetzt«, sagte sie und fuchtelte mit der Hand herum. Das Geklimper der Silberarmbändchen fiel Costello auf die Nerven. »Hab mich hingesetzt, und er hat an den Schaukeln gespielt. Spielt ja gern an den Schaukeln.« Alison zog das Kinn zurück, und ihr Kopf wackelte leicht, als wollte sie sagen: Tja, das war’s. »Kann gar nicht richtig denken. Brauche meine Medizin.« Sie griff in die Tasche, wühlte herum und bemühte sich, die Wodkaflasche dabei versteckt zu halten.
Costello schaute zu, wie Alison zwei blaue Kapseln aus einer braunen Plastikflasche in ihre Hand kippte, und sie begriff, dass der Apotheker ihr nicht das ganze Rezept auf einmal anvertraut hatte. Sie hätte die Medikamente doch nur weiterverkauft.
»Wann haben Sie sein Verschwinden denn bemerkt, Alison?«, erkundigte sich Anderson sanft.
Sie zuckte mit den Schultern. »Ich glaube, er ist vom Karussell gefallen oder so. Er hat über seinen Fuß gejammert oder über sein Bein. Über irgendwas«, wiederholte sie.
»Hatte er sich richtig verletzt?«
Alison zuckte erneut mit den Schultern, als wollte sie sagen: Was weiß ich?
»Haben Sie beobachtet, wie er gestürzt ist?«, beharrte Anderson. »Bitte antworten Sie.«
»Ja, er ist gefallen.«
Anderson blickte Costello an. »Das könnte den kleinen Blutflecken erklären, den wir gefunden haben. Hat er sich am Bein oder im Gesicht oder am Arm verletzt? Hat er sich geschnitten?«
»Weiß auch nicht.«
»Wie lange waren Sie da im Park?«
Alison schüttelte den Kopf. Sie hatte keine Ahnung.
»Haben Sie diese Kapseln immer bei sich?«, fragte Costello und nahm das Fläschchen.
»Ja«, sagte Alison und nickte.
»Und die lassen sich so leicht schlucken?« Sie kippte sich eine aus dem Fläschchen in die Hand.
»Bekomm ich auf Rezept.« Alison sah sie misstrauisch an.
Costello zog eine Augenbraue hoch und betrachtete die Kapsel in ihrer Hand, diese zwei Hälften, die so genau zusammenpassten.
Alison McEwen nahm ihr die Kapsel weg und wiederholte aggressiv: »Hab ich auf Rezept!«
»Was ist denn mit Troys Rezept?«
»Wie?«
Costello holte tief Luft. »Also, der Arzt ist vorbeigekommen, hat sich Troy angesehen und Ihnen gesagt, Sie sollen Medikamente holen. Wofür?«
»Der Junge hat sich wegen Erkältung und Halsschmerzen beschwert. Oder so …«
»Aber Sie haben die Medikamente nicht abgeholt?«
»Nee, ging ihm ja wieder besser.«
Anderson schloss die Augen und betete still. Er dachte an Claire und daran, wie schnell die Entzündung akut geworden war und wie leicht sie hätte tödlich enden können. Er fragte sich, ob Alison diese Todesangst jemals gefühlt hatte. Troy wurde nun schon seit achtundvierzig Stunden vermisst. Es war an der Zeit, den guten Bullen zu spielen. Er bot ihr ein frisches Papiertaschentuch an und warf Costello einen warnenden Blick zu, sie möge sich beherrschen. Doch Costello beachtete ihn gar nicht, sie schaute, tief in Gedanken versunken, aus dem Fenster in den Regen.
Lewis stand bei Dave Ripley, flirtete mit ihm und erzählte ihm gerade, sie würde sich heute wohl kaum noch mit ihm auf ein Bier treffen können.
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