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Sein letzter Burgunder

Sein letzter Burgunder

Titel: Sein letzter Burgunder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul Grote
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fährst du nach Baden-Baden?«
    »Einen Dreck werde ich tun. Du kannst von mir aus fahren, ich habe einen Termin auf dem Blankenhornsberg. Die Killer sind sowieso längst über die Grenze in Frankreich oder in der Schweiz. Und die Spuren im Zimmer haben die Brunners, wenn sie schlau sind, beseitigt, der Raum wird mehr als besenrein sein, sicher aseptisch.«
     
    Was mehr als tausend Jahre richtig gewesen war, konnte nicht plötzlich falsch sein. So werden die Ihringer Winzer gedacht haben, als in dem Jahrzehnt nach dem Ende Napoleons plötzlich der Arzt Georg Ernst Lydtin am Ihringer Fohrenberg Land kaufte und es mit Reben bestocken ließ. Es war vulkanischer Boden, der im Gegensatz zum Löss am Kaiserstuhl nie zuvor für den Weinbau genutzt worden war. Der Arzt hatte napoleonische Truppen in Italien begleitet und hatte am Vesuv gesehen, dass dort Weingärten auf schwarzer Lava angelegt worden waren. Henry vermutete, dass es sich um die Region gehandelt habe, aus der heute der Aglianico del Vulture kam, ein Wein, der fünf Jahre Lagerung brauchte, bevor er überhaupt trinkbar wurde. Lydtins Weine jener Zeit hatten großen Anklang gefunden und sein Beispiel Schule gemacht. Henry hatte diese Informationen einer Broschüre über den Kaiserstuhl entnommen.
    Den Kaiserstühler Wein machten aber erst die Brüder Blankenhorn berühmt. Sie waren wirkliche Vorreiter, sie ließen am Kamm des Winklerberges das Gelände für ihr Weingut heraussprengen, importierten französische Pinot-Noir-Klone aus dem Burgund sowie Riesling aus dem Rheingau und gaben ihre Erfahrungen sowie Rebschösslinge vom Spätburgunder an Nachbarn weiter. Und sie nutzten das Weingut, um Forschung zu betreiben. In der N S-Zeit wurde das Gelände verstaatlicht und der Lehr- und Forschungsanstalt in Freiburg angeschlossen.
    Aufgrund ihrer Erfahrung mit staatlichen Stellen in Spanien und Italien waren sowohl Henry wie auch Frank sehr skeptisch, aber Henry war neugierig, denn er hatte zwei Weine von hier probiert, die ihm gut gefallen hatten. Sie ließen Ihringen hinter sich und folgten gleich am Ortsausgang dem Hinweisschild zum Staatsweingut. In der ersten Kehre am Fuß des Berges lag der jüdische Friedhof, aber um ihn betreten zu dürfen, hätten sie sich den Schlüssel fürs Tor holen müssen, und so wurde wieder einmal die Neugier der Pflicht geopfert, so wie die Kaiserstuhlbahn. Henry war noch immer nicht mit ihr gefahren.
    Die Skepsis der staatlichen Einrichtung gegenüber wich in dem Maße, wie sie den Serpentinen durch die Weinberge auf den Kamm des Winklerberges folgten. Diese Weinbergslage mit dem Namen »Doktorgarten« war fantastisch.
    »Wer es hier nicht versteht, große Weine zu machen«, meinte Henry, als sie auf das gläserne Portal des Gutes zugingen, »muss ein Schwachkopf sein.«
    Frank stimmte ihm zu. »Dabei ist es gar nicht schwer, Wein zu verderben. Unsere Nachbarn in der Toskana haben ein ähnliches Terroir wie wir, und ich weiß, was bei denen für Murks herauskommt. Wenn dieses Gut zum Verband der Prädikatsweingüter gehört, ist das ein Hinweis auf Qualität. Aber man weiß nie   …«
    Die Anlagen machten einen großzügigen und gepflegtenEindruck, sie wirkten durchdacht und zeigten auch Sinn fürs Detail. Mediterrane Pflanzen wie Zypressen, Agaven und Kakteen rahmten die Kellerei und den Besucherpavillon ein, Rosmarin wuchs hier ganzjährig, und Salbei und Oleander sprengten fast die Kübel.
    »Hier würde es Antonia gefallen«, meinte Frank, »zu Hause ist es ähnlich, aber sie würde nie ihr Weingut verlassen.« Hier oben war es jetzt schon warm, es würde heute noch wärmer werden, heiß   – und noch immer kündigte sich kein Regen an, die Wolken im Westen logen mal wieder. Ihringen sollte der wärmste Ort Deutschlands sein. Den beiden Männern war es recht, sie kannten Hitze, sie ertrugen sie nicht, sie liebten trockenes heißes Wetter.
    Am stärksten aber beeindruckte der Ausblick über das Oberrheintal. Am frühen Morgen hatten die Vogesen sich noch nicht hinter den üblichen Dunstschleier zurückgezogen, der würde sich später mit zunehmender Hitze entwickeln. Henry empfand es als angenehm, dass dieser Ort sich so offen präsentierte, frei und luftig und zugänglich in der Höhe   – ganz anders als das »Il Calice« mit seinem düsteren Waldrand, der nach zwei Schritten ins Dunkel jeden vor allen Blicken verbarg, das mystische Versteck einer Räuberbande im Wald. Den Gedanken an die Rückkehr dorthin musste Henry

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