Sein letzter Burgunder
Rückkehr nach Barcelona auf ihn warten würde, würde mörderisch sein. Doch Isabellas Stimme zu hören war es ihm wert, außerdem hatte sie ihm ausführlich von ihren »Interviews« berichten müssen. Dabei hatte sich gezeigt, dass es eine Reihe erzkonservativer Mitarbeiter gab, eingestellt noch von ihrem verstorbenen Großvater, als hätte er Arbeitsplätze für verdiente Falangisten bereitgehalten. Außerdem hatte sie erfahren müssen, dass einige Mitarbeiter völlig falsch eingesetzt waren, weit unter ihren Fähigkeiten. Andere machten die Arbeit schlecht oder nahmen sie nicht ernst genug.
Salgado war auch nicht untätig geblieben, er hatte eine Liste von Organisationen zusammengestellt, nur ermöglicht durch seine Beziehungen innerhalb des Apparats, deren Mitglieder für derartige Anschläge infrage kamen.
»Und über Alan Amber verlierst du kein Wort«, sagte Isabella übergangslos. Henry sah sie vor sich, wie sie ihn dabei vorwurfsvoll und gleichzeitig verständnisvoll anlächelte.»Da wird vor deiner Nase eine wichtige Persönlichkeit ermordet, jemand, mit dem du dich sogar treffen wolltest, und du schweigst dich aus? Das lässt nur einen Schluss zu.«
»Und welchen, wenn ich bitten darf?« Henry wusste genau, was jetzt kommen würde.
»Dass du damit zu tun hast, nicht mit dem Mord, sondern vielmehr mit der Aufklärung. Ich kenne dich, Henry Meyenbeeker, dich juckt es. Wenn deine Journalistennase den Geruch aufnimmt, dann folgt sie der Spur. Ich werde dich nicht davon abbringen können, aber bitte, geh umsichtig vor, versprich mir das. Wir brauchen dich hier, ich brauche dich, Sebastián auch. Mir ist die Nariz de Oro lieber, die der Spur des Weins folgt – statt der von Blut. Verstanden? Gibt es schon irgendwelche Verdächtige?«
Henry liebte sie, aber er würde den Teufel tun, ihr von allen seinen Überlegungen zu erzählen. Sie würde sich ängstigen und ihn auffordern, sofort zurückzukommen, ihn bitten – was noch schlimmer war, denn er konnte ihr nichts abschlagen. Also musste er abwiegeln, Hecklers Erpressung durfte er unter keinen Umständen erwähnen. Ihre und die Unterstützung ihres Vaters hätte er sicherlich gehabt, doch dann hätte Heckler sein Spiel gewonnen, und das durfte er nicht zulassen. Er wechselte das Thema.
»›Fidelio‹ gestern habe ich geschwänzt, aber heute muss ich mit zum gemeinsamen Essen. Das große Galadinner wurde abgesagt.«
»Wie pietätvoll«, meinte Isabella schnippisch, und Henry verstand sie gut. Allzu oft hatten Behördenvertreter, Parteimitglieder und Bürgermeister kleiner Gemeinden in Bezug auf Isabellas Bemühen um die Verschwundenen der Franco-Diktatur Betroffenheit demonstriert, und anfangs hatte sie es geglaubt. Aber konkrete Unterstützung war kaum gekommen, das offizielle Mitgefühl war ausschließlich dem politischen Kalkül geschuldet.
»Wir sind auf zwei oder drei Restaurants in der Stadt verteilt, da finden sich heute nicht die Juroren nach Gruppen zusammen, sondern die Nationen oder Sprachnationen. Man will uns mischen. Weiß der Geier, weshalb.«
»Damit kein Gruppenzusammenhang entsteht? Dann viel Spaß. Wann kommst du endlich zurück? Ich frage meines Onkels wegen, er ist zurzeit noch in Mendoza, in Argentinien, und fliegt in anderthalb Wochen her. Er möchte auch dich gern wiedersehen, es ist schließlich fünf Jahre her, dass wir ihn in Chile besucht haben – und ich will dich natürlich auch …«
Mendoza, das wichtigste Weinbaugebiet Argentiniens. »Hast du nicht von einer E-Mail , einem Drohbrief geschrieben, mit Mendoza als Absender?«
»Nein, Blaspiñar hieß der, weshalb? Wie kommst du auf Mendoza?«
»Weil wir hier jemanden mit diesem Namen haben, Patricio Mendoza, einen Spanier, von ihm habe ich dir erzählt, ein Rechter der ganz harten Klasse …«
»Henrique!«
Er kannte den Ton. Wenn sie ihn Henrique nannte, rief ihn Isabella zur Ordnung oder überdeckte ihre Sorgen um ihn, wenn er sich ihrer Meinung nach wieder zu weit vorwagte. Nur war er nicht zum Schweigen geboren. Was er wusste, wurde veröffentlicht.
»Da läuft wieder was«, sagte Isabella, »wieso versuchst du, mich für dumm zu verkaufen? Amber ist tot, er wurde in dem Hotel umgebracht, in dem du wohnst. Es kam hier in den Nachrichten. Es ist die Sensation für die Weinwelt. Im Internet habe ich ein Foto gesehen, auf dem ihm jemand mit einem Rosenstrauß ins Gesicht schlägt. Das ist eine riesige Geschichte. Da weiß der Mörder, dass man ihn
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