Sein letzter Fall - Fallet G
wollten, wie sich die Dinge entwickelt hatten.
Sowie eine gemeinsame, stärkere Verantwortung für Erich zu übernehmen, der – und hier bemerkte er, dass es bei Renate nicht mehr weit bis zu den Tränen des schlechten Gewissens war – wahrlich alle elterliche Unterstützung brauchte, die aufzubringen war. Darin waren sie sich rührend einig, und wenn an diesem regnerischen Montagabend der auf der Kippe stehende Sohn zu Hause gewesen wäre, dann wäre sicher umgehend ein ernstes Gespräch unter sechs Augen zu Stande gekommen.
Aber das war er nun einmal nicht, und als Van Veeteren ihn gegen halb zwölf vorsichtig durch die Tür und in sein Zimmer huschen hörte, war Renate bereits eingeschlafen, und er ließ die Sache auf sich beruhen.
Ich weiß ja so verdammt wenig über sein Leben, dachte er.
Was denkt er? Wie sehen seine Träume, Pläne und Fantasien aus?
Warum weiß ich nicht mehr über meinen eigenen Sohn?
Und mit dem bitteren Geschmack eines Versäumnisses im Mund schlief er ein.
21
Der Vorsommer wurde zum Hochsommer.
Ob es nun mit privaten oder beruflichen Beweggründen zu tun hatte, das machte er sich selbst nie so recht klar, aber während der nächsten drei Wochen führte er kein weiteres Verhör mehr mit G. durch.
Reinhart und Münster spielten ein paar Mal das Böser-Bulle-guter-Bulle-Spiel, mit Reinhart in der Rolle des Unsympathischen, Münster in der des etwas Humaneren. Das Spiel war alt und leicht zu durchschauen, aber trotzdem funktionierte es meistens. Zumindest bis zu einem gewissen Grad. Wenn einem Menschen nach Aggressivität und Feindlichkeit Freundlichkeit und Verständnis entgegengebracht werden, dann fällt es ihm schwer, dem nicht nachzugeben und sein Herz zu erleichtern. Ganz gleich, ob er das Theater durchschaut oder nicht.
Aber so war es nicht in diesem Fall. Nach ein paar ziemlich langen vergeblichen Sitzungen waren Reinhart und Münster sich darin einig, dass Jaan G. Hennan inzwischen ihre Besuche als eine Art willkommene – und fast unterhaltsame – Unterbrechung des eintönigen Wartens auf die Gerichtsverhandlung ansah, worauf sie beschlossen, ihre Tätigkeit einzustellen. Wenn es nicht möglich war, durch ein Verhör irgendwelche Punkte klarzulegen, so konnten ihn vielleicht Einsamkeit und Isolation dazu bringen, ein wenig ins Wanken zu geraten.
Der Kommissar seinerseits übernahm die Arbeit, sich mit Leuten zu unterhalten, die von Rooth und Jung für ein weiteres Gespräch empfohlen worden waren. Er selbst hatte ja die Namen von mindestens einer Hand voll Personen gefordert, die möglicherweise Informationen über Hennans Treiben nach seiner Rückkehr aus den USA haben konnten, und die Inspektoren hatten der Anweisung Folge geleistet. Sie hatten ihm eine Liste mit fünf Namen überreicht. Nicht sechs oder sieben – woraus er ersehen konnte, dass er, wenn er mindestens drei gefordert hätte, genau diese Anzahl auch bekommen hätte.
Das Ganze kostete einige Arbeitstage, und hinterher konnte Van Veeteren den Schluss ziehen, dass es vergeudete Liebesmühe gewesen war, wie Inspektor Rooth prophezeit hatte. Keiner der fünf hatte – genau wie die übrigen zweiundzwanzig, die man interviewt hatte –überhaupt in der letzten Zeit Kontakt mit Hennan gehabt. Zumindest gab es keinen, der das zugab, und als der Kommissar an dem Tag, bevor der Prozess im Lindener Gericht beginnen sollte, das Ergebnis der Arbeit eines Monats resümieren wollte, die das Ziel gehabt hatte, Klarheit über die Umstände von Barbara Hennans Tod zu verschaffen, kam er nur auf die ausgewogene, unangenehm runde Zahl Null.
Keinen Fetzen. Man wusste nicht mehr, als man bereits Anfang Juni gewusst hatte. Nichts hatte sich von einer Ahnung in Wissen veredelt, nichts war aus unerwarteter Ecke aufgetaucht – wie es manchmal wie eine Art Belohnung für das blinde Schuften geschah.
Kurz gesagt hatten die Dinge nicht ihren Lauf genommen, und vermutlich war es diese düstere Wahrheit, die in seinem Hinterkopf brütete, als er beschloss, einen letzten Versuch mit dem Hauptdarsteller zu unternehmen. Als er an einem frühen Montagmorgen noch einmal ihm gegenüber in dem kalten Verhörzimmer Platz nahm, hatte er das Gefühl, als ließe er sich zu einer hoffnungslosen alten Schachpartie nieder, bei der es so wenige Spielsteine gab und die Lage so verrannt war, dass vor dem unwiderruflich eintretenden Remis als Einziges eine zu nichts führende Gegenrechnung der Züge möglich war.
Und vermutlich beschloss er
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