Sein mit Leib und Seele - Band 08
steht am Bettrand. Er sieht meine Angst und ich sehe, dass ihm das gefällt. Ich bin ein Tier, das von seinem Jäger in die Enge getrieben wurde.
Er bückt sich und reißt derb die Decke weg.
„Nein! Hören Sie auf!“
Vergeblich versuche ich, sie zurückzuziehen.
„Lassen Sie mich!“
Ich bin nackt, machtlos. Vor Angst zitternd, sehe ich von unten sein widerliches, verzerrtes Grinsen. Sein boshafter Blick ruht lange auf mir. Er mustert mich von Kopf bis Fuß. Sein Blick heftet sich an mein Becken … Ich kann nicht einmal schlucken. Was wird er mit mir machen?
Er hebt seinen Arm und wirft mir etwas zu. Ein Kleid. Zufrieden mit seiner Wirkung auf mich, dreht er sich um und postiert sich wieder neben der Tür. Ich schlottere vor Angst und ziehe das Kleid über. Es ist schwarz und zu groß. Ich habe nichts drunter. Dann nähere ich mich langsam dem Tablett. Mein Magen ist zugeschnürt. Essen … Wie soll das nach alldem gehen?
Ich versuche, meine Gedanken zu ordnen. Die Leute, die ich vorhin an meinem Bett habe reden hören … Die Stimme des Mannes kannte ich nicht, aber die der Frau … Alice! Das war sie, ganz sicher! Und … und Charles? Bei dem Gedanken an ihn läuft mir ein Schauder über den Rücken. Haben sie ihn auch entführt? Haben sie ihm wehgetan? Wie geht es ihm? Wenn er frei ist, sucht er mich? Macht er sich Sorgen? Und wie kommt es, dass er Kontakt zu diesen russischen Mafiosi hat? Vor allem aber: Wie kommt es, dass Alice und Guillaume solchen Kontakt haben? Ich habe genau gehört, wie die Typen in Schwarz seinen Namen nannten …
Ohne mein Essen anzurühren, stehe ich ängstlich auf und gehe zum Bad. Ich hebe die Augen nicht vom Boden. Im Bad angekommen, schließe ich mich ein. Eine Atempause? Ich öffne den Hahn der Badewanne und schließe die Augen. Ich versuche, an nichts mehr zu denken.
Doch dann werde ich aus meinen Gedanken gerissen: Jemand schlägt heftig gegen die Tür. ,Nein! Nicht jetzt!‘
„Was … was ist denn?“, frage ich verschüchtert.
„Kommen Sie raus“, donnert Anikeï mit seinem scharfen slawischen Akzent.
„Warten Sie … Ich bin noch nicht fertig.“
„Scheißegal, kommen Sie raus, sofort!“, brüllt er.
„Aber … So kann ich mich nicht sehen lassen, ich …“
„Das Bad ist beendet. Ziehen Sie sich irgendwas an oder glauben Sie, Sie wären in der Position, uns warten zu lassen? Machen Sie schnell oder ich werde die Tür öffnen!“
„Ja, ich komme … Ich … Ich … Geben Sie mir dreißig Sekunden.“
„Ich zähle.“
Schnell ziehe ich einen Morgenmantel über, der an einem Haken hing. Anikeï beginnt von vorn: Er traktiert die Tür mit seinen Fäusten. Sie bebt und zerspringt fast.
„Dimitri hat die Schnauze voll davon, auf Sie zu warten. Ich öffne jetzt die Tür mit Gewalt.“
„Nein, nein! Warten Sie, ich bin da …“
Ich renne zur Türklinke und öffne überstürzt das Schloss.
,Wer ist Dimitri? Was erwartet mich hinter dieser Tür?‘
2. Was noch?
Kaum habe ich den Schlüssel umgedreht, fliegt mir die Tür brutal entgegen. Ich springe zurück, um nicht getroffen zu werden, aber sie schlägt mir ins Gesicht. Ich schreie auf und fasse mir an die Schläfe. Ich weiß, Anikeï hat das mit Absicht getan. Er genießt seine Grausamkeit.
Aber da ertönt eine andere Stimme:
„Anikeï, komm wieder runter! Das ist doch nicht unsere Art. Wir sind hier nicht in Moskau im Viertel deiner Mutter.“
Anikeï hält sofort inne. Er dreht sich um und trottet zu seinem angestammten Platz, Gesicht der Tür zugewandt. Mit der Hand fährt er sich über den Mund und das Kinn, dann lässt er, ohne es zu merken, seine Arme baumeln und setzt wieder sein undurchdringliches Rhinozeros-Gesicht auf. Der Mann mir gegenüber muss gefährlich sein, wenn sogar dieses Tier Anikeï nicht aufmuckt. Mir wird klar, dass er nicht Russisch mit ihm gesprochen hat, sondern Französisch … Mit Absicht. Damit ich es verstehe und begreife, wer hier das Sagen hat. Mein Blick schweift von Anikeï zu meinem neuen Gesprächspartner. Im Zimmer ist es dunkel, das einzige Licht kommt aus dem Bad hinter mir.
Der Typ ist ungefähr so groß wie ich. Eher schmal, aber nicht schmächtig. Seine Wangenknochen zeichnen sich ab, seine mandelfarbenen Augen blicken finster und schwermütig. Er hat schmale, lange Lippen, wie mit dem Lineal gezogen, und ist höchstens 35 Jahre alt. Italienisches Hemd mit aufgedruckten protzigen Manschettenknöpfen. Eine eher auffällige Uhr. Leinenhose und
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