Seine einzige Versuchung
von Sinnen, was ihm ungeahnte Kräfte verlieh. Elli hörte laut polterndeSchritte aus dem Treppenhaus. Plötzlich standen Jakob und Paulsen im Raum. Jakob sah, wie Kabus auf Benthin saß und versuchte, seine Hand mit der Waffe auf ihn zu richten, während Benthin mit aller Kraft dagegen drückte, um die Laufmündung in eine andere Richtung zu bringen. Der Anblick war zu viel für den Jungen. Er verehrte Benthin und wollte ihm helfen. Unüberlegt stürzte er sich auf den Mann, der auf seinem väterlichen Freund saß. Paulsen konnte ihn nicht mehr rechtzeitig packen. Man sah nur noch ein Tumult von Körpern. Elli schrie:
„Nein!“
Dann löste sich ein Schuss…
Kapitel 34
„Elli, würdest Du mir aus der Jacke helfen?“
„Natürlich. Entschuldige, ich war noch in Gedanken bei Jakob.“ Soeben waren sie aus dem Sanatorium zurück ins Hotel gegangen. Benthin hatte seine Anwendungen bekommen, während Elli Jakob im Kindertrakt besuchte. Auch wenn er nach den furchtbaren Erlebnissen vor einigen Wochen längst kein Kind mehr war, so gehörte er vom Alter noch hierher. Ein Vorteil war, dass Kinder im Sanatorium Besuch erhalten durften, während dies erwachsenen Patienten nicht zustand, angeblich aus medizinischen Gründen. Benthin hatte sich deswegen bereits gleich zu Beginn seiner Heilbehandlung mit dem Oberarzt angelegt, der ihm dringend geraten hatte, seine Schulterverletzung im Sanatorium auszukurieren. Aber die Aussicht, Elli wochenlang nicht sehen zu dürfen, passte ihm überhaupt nicht.
„Sie wollen doch wohl nicht allen Ernstes behaupten, dass es meiner Genesung Abbruch tut, wenn mich meine Frau hier besucht?“, hatte er die Anordnungen des Mediziners in Frage gestellt.
„Das würde Sie nur von Ihren Anwendungen ablenken. So ein Schulterdurchschuss aus kurzer Distanz ist keine Bagatelle, auch wenn Sie so tun, als gehe es Ihnen gut.“
„Es geht mir den Umständen entsprechend gut! Ich bin froh, mit dem Leben davon gekommen zu sein und vor allem, dass der Junge und meine Frau das überlebt haben!“ Benthin war reichlich ungehalten über die Prinzipienreiterei des Arztes.
„Wir machen hier keine Ausnahmen. Auch wenn Ihr Fall natürlich recht ungewöhnlich ist, müssen Sie sich an unsere Regeln halten. Das habe ich Ihrer Frau damals auch schon gepredigt. Sie wollte nicht auf mich hören und ist immer wieder bei Wind und Wetter heimlich nach draußen an den Strand gegangen! Sie sind ebenso halsstarrig wie Ihre Frau Gemahlin!“ Benthin schmunzelte:
„Ja, und genau dafür liebe ich meine Frau! Eine Trennung von ihr würde mir definitiv nicht guttun! Sie lassen doch auch Besuch für Kinder zu. Brauchen kranke Erwachsene denn keine Zuwendung durch ihre Angehörigen?“
„Das ist etwas ganz anderes! Davon verstehen Sie nichts!“ Der Arzt war so von sich und seinen Heilmethoden überzeugt, dass er keine andere Meinung gelten lassen konnte. Benthin hielt dagegen - selbstverständlich nicht ohne eine gehörige Portion Sarkasmus:
„Nein davon verstehe ich naturgemäß nichts - ich bin Patient und demzufolge kein ernstzunehmender Mensch! Es wäre für Ihre Ansichten vielleicht ganz hilfreich, wenn Sie selbst einmal Patient in Ihrem Haus wären. Ich kann meine Gefühle jedenfalls nicht einfach so abstellen, schon gar nicht, wenn ich nicht richtig gesund bin!“ Benthin wurde dem Mediziner allmählich lästig mit seiner Beharrlichkeit. Bislang hatte es noch kein Patient gewagt, seine Methoden in Frage zu stellen.
„Es gibt eine Menge Männer und Frauen, denen es ganz gut tut, von ihrem Ehepartner ein paar Wochen lang einmal gar nichts zu hören und zu sehen!“, argumentierte er nun zunehmend gereizt.
„Das mag ja so sein, aber es soll durchaus Eheleute geben, die sich gegenseitig guttun. Die anderen können den Aufenthalt meinetwegen gerne nutzen, um sich einen Kurschatten zuzulegen…“
„Wollen Sie damit etwa andeuten, dass wir hier dem Ehebruch Vorschub leisten?“
„Ich will gar nichts andeuten. Es ist nur so, dass ich mich nicht bei Ihnen behandeln lassen werde, wenn ich meine Frau nicht sehen darf! Und unter uns gesagt, glaube ich, dass sich Ihr Haus einen gut zahlenden Kurgast nicht entgehen lassen kann.“
„Sie sind außerordentlich hartnäckig, und ebenfalls unter uns gesagt: ziemlich unverschämt“, ergänzte der Arzt nun mit dem Anflug eines Schmunzelns, das er zu verbergen suchte, indem er vorgab, vielbeschäftigt in einer Akte zu blättern. Dieser hartnäckige Sturkopf
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