Seine einzige Versuchung
außerdem, mein Mann wollte noch etwas mit Ihnen besprechen“, wich sie diplomatisch aus. Eine Eigenschaft, die Elli bislang - glücklicherweise - noch nicht für sich entdeckt zu haben schien, wie Benthin zufrieden feststellte. Elli war gerade heraus - entwaffnend offen, wenn sie sich nicht gerade in ihr Schneckenhaus zurückgezogen hatte. Wie es aussah, war sie in vielerlei Hinsicht nach ihrem Vater geraten - kein Wunder, dass dieser so an ihr hing. So eine Tochter ließ man nicht so leicht ziehen wie es wahrscheinlich bei seinen beiden jüngeren Mädchen einmal der Fall sein würde. Sie ähnelten der Mutter schon allein äußerlich viel mehr als Elli. Während Frau Preuß und die beiden jüngeren Töchter auf den ersten Blick hübsche, aber alltägliche Erscheinungen waren, wirkte Elli eher ungewöhnlich. Ihre Besonderheit konnte man nicht unbedingt auf Anhieb erkennen, manch ein Mann hätte sie sogar für unscheinbar gehalten. Spätestens beim Anblick ihrer lebendigen Mimik und ihrer leuchtenden Augen wurde diese Einschätzung jedoch hinfällig. Ihre unkonventionelle Art konnte leicht als Provokation missverstanden werden, dabei wollte sie einfach nur unabhängig sein, frei von Zwängen und Erwartungen, die ihr durch Erziehung und Moralvorstellungen der Zeit auferlegt wurden. Dies wurde Benthin allerdings erst viel später klar, als es schon fast zu spät war…
In Anbetracht des Hinweises von Frau Preuß erschien es Benthin angemessen, seinen - ohnehin nicht ganz ernst gemeinten - Gedanken an einen Tanz mit Elli zu verwerfen und sich stattdessen dem Professor zu widmen, mit dem sich bislang noch keine Gelegenheit zum Gespräch ergeben hatte. Er wollte einen vorsichtigen Versuch wagen, den Professor auf das Thema einzustimmen.
„Benthin, Sie habe ich heute ja noch gar nicht gesprochen - gut, dass Sie da sind! Diese Tanzerei ist nichts mehr für einen alten Mann wie mich. Meine bessere Hälfte ist ganz versessen darauf. Von mir aus hätte das Fest auch ohne Musik und Tanz stattfinden können. Ach, was rede ich von meinen Befindlichkeiten! Wie steht es um Ihre politischen Bestrebungen, mein Lieber?“ Benthin war kein Freund überflüssiger Worte und kam ohne größere Ausschweifungen gleich zum Punkt:
„Meine Ambitionen kennen Sie - wir sprachen ja schon letzte Woche darüber. Ich würde mich gerne auf politischer Ebene für die Rechte einfacher Arbeiter und Angestellter einsetzen. Es ist ohnehin schwierig, für diese Absicht Anhänger in unseren Kreisen zu gewinnen… Und wie Sie selber feststellten - selbst wenn ich genügend Befürworter auf meiner Seite hätte, bestünde aller Wahrscheinlichkeit nach keine Aussicht auf Erfolg, weil ich mich als unverheirateter Mann gar nicht erst zur Wahl aufzustellen lassen bräuchte. Junggesellen wählt man nicht in ein politisches Amt mit Einfluss - so sind nun mal die Spielregeln.“
„Sind doch genug junge Frauen hier im Saal - wäre da nicht eine für Sie dabei?“, scherzte der Professor nicht ahnend, wie sehr er damit ins Schwarze getroffen hatte, als sich plötzlich seine Miene verfinsterte: „Was ist denn da los?“
„Was meinen Sie, Professor?“
„Sehen Sie denn nicht, wie Elli verzweifelt zu uns herüber blickt? Da stimmt doch etwas nicht! Wer ist denn dieser Tölpel, der da mit ihr tanzt - der wird doch nicht etwa zudringlich?“ Nun erkannte Benthin, was der Professor meinte. Elli suchte mit flehenden Augen den Blickkontakt zu ihrem Vater. Offensichtlich war ihr der Tanzpartner, ein junger, unbeholfener Bursche, zu nahe gekommen. Wie es aussah, konnte sie sich seiner nicht erwehren, ohne Gefahr zu laufen, die Aufmerksamkeit der anderen Gäste auf sich zu ziehen und somit einen Aufruhr auszulösen.
„Kümmern Sie sich um Elli - ich knöpfe mir diesen ungehobelten Burschen vor!“, befahl der Professor nun mit einer Stimme, die keinen Widerspruch duldete. Er bebte vor Zorn. Dennoch konnte der junge Mann froh sein, nicht von Benthin zur Rechenschaft gezogen zu werden. Im Gegensatz zum Professor, der schon eine gewisse Altersmilde in sich trug und sich mit einer ernsthaften Moralpredigt im Arbeitszimmer begnügte, hätte Benthin ihn vermutlich nicht mit Worten getadelt, sondern seine Fäuste sprechen lassen.
„Junger Mann, Sie kommen jetzt erstmal mit mir ins Arbeitszimmer!“, befahl der Professor dem aufdringlichen Tanzpartner Ellis leise im Vorbeigehen, um die anderen Gäste nicht zu irritieren. Er schien angetrunken zu sein und hatte nicht
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