Seine einzige Versuchung
kurzum: er war eine eindrucksvolle Erscheinung. Etliche Frauen der Gesellschaft hofften, diesen eingefleischten Junggesellen auf sich aufmerksam machen zu können. Seine Eigenschaften waren auch Elli nicht verborgen geblieben. Sie imponierten ihr und verwirrten sie zugleich. Sein Gesicht war nicht im klassischen Sinne schön, doch ausgesprochen maskulin. Die eher schmalen Lippen ließen Sinnlichkeit nur erahnen, sein Verhalten war reserviert und höflich. Bisweilen wirkte er dadurch auf seine Mitmenschen arrogant. Neben einem tadellosen Ruf besaß er hohes gesellschaftliches Ansehen, nicht zuletzt aufgrund seiner Herkunft. Aus finanzieller Sicht hätte er nicht arbeiten müssen - er war keiner der verarmten Aristokraten, von denen es zu der Zeit so viele gab. Doch dies reichte ihm nicht. Er wollte wegen seiner Leistungen respektiert werden und hatte die Arbeit nie gescheut, die sein Beruf als Jurist mit sich brachte. Im Gegenteil - er sah die Tätigkeit als Herausforderung und setzte sich mit großem Engagement und Nachdruck für seine Mandanten und ihre Anliegen ein. Dabei ging er stets kühl und besonnen vor. Der Erfolg gab ihm Recht und hatte sein Ansehen umso mehr gesteigert. Hin und wieder erweckte er unter Berufskollegen Aufsehen, wenn er sich unkonventioneller Klienten annahm, die nicht dem Standard der gehobenen Gesellschaft entsprachen, sondern aus einfachen Verhältnissen stammten. Es war nicht üblich, dass sich die feine Gesellschaft um die Belange der einfachen Bevölkerung kümmerte - man betrachtete sie lediglich als Personal, das zu funktionieren, aber keinen Anspruch auf Rechte hatte. Benthin hingegen ging es uneingeschränktum Gerechtigkeit und Erhalt der Würde eines Menschen, egal in welcher Schicht dieser sich bewegte. Zeigte er beruflich zwar größtes Interesse an Menschen und ihren Hintergründen - ungeachtet ihrer Herkunft - so ging Benthin privat doch eher distanziert mit seinem Personal um. Er schien sich nicht sonderlich für deren Leben zu interessieren, mied ausführliche Unterhaltungen und beschränkte den Kontakt auf das Allernötigste. Es fiel ihm schwer, Nähe zu anderen Menschen aufzubauen. Im Privatleben war er gerne allein und hätte an diesem Zustand nichts ändern wollen, wäre da nicht sein Freund und Berater Gerlach gewesen, der ihm zu dem pragmatischen Schritt einer Ehe geraten hatte. Denn es war so, dass Benthin neben seiner juristischen Tätigkeit einen hochrangigen Posten in der kommunalen Politik anstrebte. Die Gesellschaft verlangte geordnete Verhältnisse. Wollte ein Mann in ein politisch einflussreiches Amt gewählt werden, so wurde von ihm erwartet, dass er verheiratet war, mochten seine Fähigkeiten und Leistungen auch noch so herausragend sein.
Es war keineswegs so, dass Benthin die Annehmlichkeiten des Kontaktes zu einer Frau nicht zu schätzen wusste. Er war ein vitaler, vom regelmäßigen Schwimmen trainierter Mann im besten Alter - mit entsprechenden körperlichen Bedürfnissen. Doch dieses Thema wurde von ihm äußerst diskret und professionell gehandhabt. Wie im Umgang mit seinem Personal vermied er auch auf dieser Ebene zu große Nähe zu den betreffenden Frauen. Er achtete jedoch entschieden darauf, sie respektvoll zu behandeln und zugleich seine und ihre Gesundheit durch entsprechende Vorkehrungen zu schützen. Trotz aller Distanz berücksichtigte er ihre körperlichen Bedürfnisse ebenso wie seine und entlohnte sie anschließend großzügig. Er war sich dessen nicht bewusst, doch er galt - im Gegensatz zu den meisten Männern - als hochgeschätzter Kunde in diesen Kreisen. Nie hätte eine der Frauen ein schlechtes Wort über ihn verloren. Sie bedauerten es, ihm nicht noch häufiger mit ihren Diensten zur Verfügung stehen zu können, denn er beschränkte die Begegnungen auf so wenige wie möglich.
Seine ersten körperlichen Erfahrungen mit Frauen hatte Benthin als Siebzehnjähriger gesammelt. Er hatte ein durchaus lebhaftes Interesse an den geheimnisvoll erscheinenden Dingen, die sich zwischen Männern und Frauen abspielten, jedoch offiziell tabu waren. Es gehörte sich nicht, über Körperlichkeit zu sprechen, noch nicht einmal - oder vielmehr erst recht nicht - in den Ehebetten. Kaum jemand wusste etwas über Verführung oder Erotik, und es schickte sich nicht, Gefühle zu zeigen. Männer machten gelegentlich - wenn sie unter sich in ihren Klubs waren - zweideutige Bemerkungen über Dienstmädchen, die sie verführt hatten. Es galt als
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