Seine einzige Versuchung
sie voller Respekt für seine Tätigkeit war, so hatte sie insgeheim doch die Hoffnung gehegt, wenigstens etwas mehr Zeit mit ihm verbringen zu können. Sie vermisste zudem seine kleinen Gesten der Zuneigung, die Neckereien und Zärtlichkeiten, die er ihr noch vor der Heirat so freigiebig entgegengebracht hatte. Ihr Tagesablauf bestand darin, Frau Roth zur Hand zu gehen, Spaziergänge im Park zu unternehmen und Bücher zu lesen. Das war ihr zu wenig. Sie erinnerte sich an ihr Gespräch mit Benthin über die Frau, die vermutlich aus Langeweile begonnen hatte, sich mit kleinen Diebstählen etwas Abwechslung von ihrem eintönigen Alltag als Ehefrau eines vielbeschäftigten, wohlhabenden Mannes zu verschaffen. So wollte sie keinesfalls enden. Sie würde ihre Ankündigung von damals wahr machen und sich eine sinnvolle Beschäftigung suchen. Benthin würde vermutlich nichts dagegen einzuwenden haben, nur fehlte Elli im Augenblick noch die entscheidende Eingebung für eine solche Aufgabe.
Sie blickte von ihrer Lektüre auf, als er den Raum betrat.
„Elli, kommst Du mal mit nach unten - da ist jemand, der Dich kennenlernen will.“
Elli sprang sofort hoch. Diese Gelegenheit würde sie sich nicht entgehen lassen. Sie rätselte, um wen es sich bei dem Gast handeln könnte. Wie sich herausstellte, warteten unten zwei Personen auf sie, die ihr gänzlich unbekannt waren. Es handelte sich um eine einfach aussehende Frau und einen etwa dreizehnjährigen, etwas nachlässig gekleideten Jungen.
„Elli, ich möchte Dir Frau Klein und ihren Sohn Jakob vorstellen.“
„Frau Klein, Jakob - das ist meine Frau Elli.“ Stolz schwang in seiner Stimme mit. „Jakob ist der junge Mann, von dem ich Dir erzählt habe, dass er des Diebstahls und der Verleumdung bezichtigt wurde. Kannst Du Dich erinnern?“ Selbstverständlich konnte sich Elli an seine Darstellung des Falles erinnern, hatte sie doch gerade eben noch an die wahre Täterin und ihr absonderliches Verhalten gedacht.
„Ja, natürlich erinnere ich mich. Wie geht es Ihnen?“, erkundigte sie sich sogleich in ihrer aufgeschlossenen, interessierten Art und gab beiden die Hand.
„Danke, dass Sie nachfragen“, entgegnete Jakobs Mutter „Wir sind immer noch zutiefst dankbar für das, was Ihr Mann für uns getan hat - er ist ein wahrer Engel. Man erzählt sich, dass Herr von Benthin eine bezaubernde junge Frau geheiratet hat - das ist wirklich nicht gelogen! Wir wollten Ihnen beiden gratulieren und Blumen bringen. Jakob, gibst Du mir mal den Strauß?“ Der Junge holte - etwas gehemmt - einen prachtvollen Strauß hervor, den er bislang hinter seinem Rücken verborgen gehalten hatte und überreichte ihn Elli.
„Aber, das kann ich doch nicht annehmen. Ich weiß gar nicht, was ich sagen soll…“
„Natürlich können Sie! Das ist das Mindeste, was wir für Sie tun können, wenn wir schon die Dienste Ihres Mannes unentgeltlich in Anspruch nehmen durften! Wir wünschen Ihnen alles erdenklich Gute, Ihnen natürlich auch Herr von Benthin!“ Nochmals schüttelte sie beiden herzlich die Hand, ihr Sohn tat es ihr nach. Sie schienen ihren Besuch bereits beenden zu wollen, als Elli ihnen anbot, noch ein wenig zum Plaudern auf eine Tasse Tee zu bleiben. Erstaunt über das ungewöhnliche Angebot nahm Frau Klein die spontane Einladung Ellis dankbar an.
„Das trifft sich gut - ich würde ganz gerne etwas mit Dir besprechen, da Du gerade hier bist, Jakob. Lassen wir die Damen ihren Tee oben nehmen. Wir beide können hierbleiben, wenn alle damit einverstanden sind.“ Es war Elli schleierhaft, was Benthin mit Jakob zu besprechen hatte, doch sah sie keine Veranlassung, dem Wunsch ihres Mannes nicht nachzukommen. Da Frau Roth heute im Haus war, ging sie kurzerhand zu ihr in die Küche und bat sie, eine passende Vase für die Blumen zu suchen und Tee für die Herren in die Bibliothek und für sich und Frau Klein ins Wohnzimmer zu bringen.
Ellis unverhoffter Gast rutschte etwas unbehaglich auf dem angebotenen Sessel hin und her. Es kam normalerweise nicht vor, dass Frau Klein sich in diesen Kreisen bewegte, noch dazu in den Privaträumen der Herrschaften . Doch Ellis offene, freundliche Art veranlasste sie, rasch ihre Ängste abzulegen und sich unbefangen mit ihr zu unterhalten. Sie sprachen über ihre Tätigkeit als Marktfrau und kuriose Erlebnisse mit Kunden. Schließlich kam Frau Klein auf ein Thema, das Elli hellhörig werden ließ. Regelmäßig gegen Ende eines Markttages fanden sich
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