Seine einzige Versuchung
Andererseits wollte sie nicht, dass er etwas gegen seinen Willen oder nur aus Höflichkeit tat. Um ihm die Unannehmlichkeiten abzunehmen, fragte sie:
„Musst Du heute Abend noch arbeiten?“ Für einen Moment wirkte Benthin wie aus weit entfernten Gedanken gerissen. Unentschlossen antwortete er:
„Ich bin heute nicht gut vorangekommen - ich sollte wirklich noch etwas tun. Wenn Du einverstanden bist, ziehe ich mich gleich wieder nach unten zurück.“ Elli war bereits vor seiner Antwort klar gewesen, dass er genauso wie am Abend zuvor auch an ihrem zweiten Abend nichts unternehmen würde, um ihr näher zu sein. Dennoch traf sie die scheinbare Leichtigkeit, mit der er ihr zu verstehen gab, nicht mehr Zeit mit ihr verbringen zu können. Sie begann sich zu fragen, ob er möglicherweise gar keinen Wert auf ihre Anwesenheit legte. Immerhin war sein Leben in diesem Haus bestens eingespielt, und nun wirbelte sie seine ganzen Gewohnheiten durcheinander. Hatte er ihr nicht selber zu verstehen gegeben, dass die Situation auch für ihn nicht ganz einfach sei? Aufgewühlt von diesen belastenden Gedanken gelang es ihr doch, sich nichts anmerken zu lassen und mit ruhiger Stimme zu antworten:
„Bitte lass‘ Dich durch mich nicht aufhalten. Ich bin müde und werde heute früh schlafen gehen.“
„In Ordnung. Dann werde ich mich jetzt wieder in die Arbeit stürzen. Gute Nacht, Elli.“ Wie am Abend zuvor nahm er auch diesmal ihre Hand. Kurz vor seinem Mund hielt er inne und schloss für einen Moment die Augen, atmete tief ein und streifte sie dann oberflächlich mit seinen Lippen, bevor er sie zurück auf die Sessellehne sinken ließ. Dann ging er zur Tür und verließ den Raum.
Elli konnte seine Schritte im Flur und auf der Treppe hören. Dann schien er stehen zu bleiben. Sie hörte, dass die Schritte rasch wieder näher kamen und fühlte, wie ihr Herz plötzlich zu rasen begann. Sollte er es sich anders überlegt haben und zurückkommen, um den Abend doch noch mit ihr zu verbringen? Vielleicht vor dem Feuer sitzend in seinen Armen… seine Lippen auf ihrer Haut…
„Warum sollte ich Dich eigentlich für klatschsüchtig halten?“, überraschte er Elli und riss sie mit dieser vollkommen unerwarteten Frage aus ihren Träumen. Er schloss die Tür hinter sich, ging einige Schritte auf sie zu und sah sie fragend an.
„Vielleicht, weil ich mich zu vertraut mit dem Personal gebe und es nicht meinem Stand entspricht, mit Hausangestellten mehr als das Notwendigste zu sprechen?“, gab sie ihm missmutig zu verstehen. Benthin war die Bitterkeit in Ellis Tonfall nicht entgangen. Er fühlte sich angegriffen, wusste aber nicht, was genau sie ihm eigentlich vorwarf. Er konnte nur eine Vermutung anstellen:
„Denkst Du, ich missbillige Deinen freundlichen Umgang mit dem Personal?“ Elli nickte mit betretener Miene.
„So ein Unsinn - das Gegenteil ist der Fall. Und selbst wenn es so wäre, entspräche es doch gar nicht Deiner Art, Dich nicht einfach über meine belanglose Meinung hinweg zu setzen. Wo ist denn meine sonst so bemerkenswert aufsässige Elli?“, schloss er mit zärtlicher Stimme. Benthin war noch etwas näher an Ellis Sessel heran getreten und zog nun einen Hocker herbei, auf den er sich ihr gegenüber setzte. Er versuchte, ihren Blick einzufangen, der immer noch auf den Boden gerichtet war:
„Was ist los?“ Elli spürte einen Kloß im Hals. Unter allen Umständen wollte sie vermeiden, vor ihm in Tränen auszubrechen. Sie wusste, dass ihr dies nur gelingen würde, indem sie nicht mehr als das Nötigste sagte:
„Ich weiß nicht.“ Wortlos nahm er ihre Füße auf seinen Schoß und zog ihr die Schuhe aus, die er auf dem Boden abstellte. Wie erwartet, waren Ellis Füße eiskalt. Er konnte die Kälte durch ihre dünnen Strümpfe hindurch fühlen und umfing sie mit seinen warmen Händen. Als er spürte, dass Elli sich ein wenig entspannte, begann er zunächst ihren einen, dann den anderen Fuß ausgiebig zu reiben und zu massieren. Er ging dabei so feinfühlig vor, dass er ihr nicht wehtat und zugleich so fest, dass er sie nicht kitzelte. Elli wusste kaum, wie ihr geschah. Seine unerwarteten Berührungen lösten wohlige Schauer aus, die sich im ganzen Körper ausbreiteten. Alle Ängste und Befürchtungen erschienen auf einmal weit weg zu sein. Sie wollte nur noch seine Hände fühlen und wünschte, er möge nicht mehr aufhören. Hinter ihren geschlossenen Augen meinte sie zu spüren, dass er sie ansah. Sie glaubte
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