Seine einzige Versuchung
war Benthin nur der Rückzug geblieben, indem er einen anderen Klub aufsuchte, wo das Ekel nicht verkehrte.
Elli nahm allen Mut zusammen und streckte ihren Rücken durch. Den seltsamen Ausbruch ihres Mannes konnte sie nicht unkommentiert lassen, egal wie eingeschüchtert sie sich fühlte:
„Auch wenn Du mich für klatschsüchtig halten magst, Frau Roth sagte, er sei jungen Mädchen gegenüber zudringlich geworden. Ihr Mann wollte daraufhin nicht länger zulassen, dass sie in dem Haushalt weiter arbeitete, obwohl er sie glücklicherweise in Ruhe gelassen hat. Weil sie selber kündigte, hat sie ein schlechtes Zeugnis bekommen, mit dem sie sich dann bei Dir vorgestellt hat. Aber das weißt Du ja bereits.“ Benthin fragte sich, wie Elli zudringlich werden genauer definieren würde und antwortete gedankenverloren:
„Ja, dieser Verbrecher hat die Mädchen zuerst entehrt und dann entlassen - so muss man es wohl sagen. Man kann nichts gegen ihn ausrichten. Das Zeugnis eines solchen …“, es klang als murmelte er irgendeine Obszönität „…interessiert mich jedenfalls noch weniger als andere Arbeitszeugnisse. Ich mache mir lieber ein persönliches Bild von der Leistung eines Menschen.“
„Hast Du versucht, etwas gegen ihn zu unternehmen?“
„Ja, aber erfolglos, egal ob mit legalen oder illegalen Mitteln… leider!“
„Wieso illegale Mittel?“
„Ich wollte ihn verprügeln, wurde aber von weniger hitzköpfigen Kollegen zurückgehalten, wofür ich ihnen heute dankbar bin. Es hätte mir wahrscheinlich eine Klage eingebracht und an seinem abstoßenden Verhalten nichts geändert. Dieses… miese Schwein macht wahrscheinlich immer noch unbehelligt weiter. Er ist sehr einflussreich, und in seinem Dunstkreis wagte bislang niemand, Einwände gegen ihn zu erheben, weil es sich keiner mit ihm verscherzen will. Manche sehen seine Taten wohl als Kavaliersdelikte an - er brüstet sich ja geradezu damit. Andere finden ihn vermutlich ähnlich widerwärtig wie ich, unternehmen aber trotzdem nichts. Ihm wäre nur beizukommen, wenn sich alle gegen ihn stellen würden…“ Nach einer kurzen Pause des Nachdenkens lachte Benthin kurz bitter auf: „Mehr oder weniger sind wir Männer doch alle ähnlich… Ich muss… Ich sollte…“ Er versuchte, sich abermals dem heiklen Thema anzunähern, das zwischen ihnen stand und ihm umso unaussprechlicher erschien, wenn er sie ansah und ihm ihr unschuldiger Gesichtsausdruck fast das Herz zerriss. Er sprach nicht weiter.
Elli schwieg betreten. Sie verstand nicht, was Benthin ihr mit seinen letzten Worten, die er voller Missmut gesprochen hatte, eigentlich sagen wollte. Von ihren anfänglichen, bedrückenden Gedanken über den Verlauf des Gespräches war sie nun in finstere Gefilde menschlicher Abgründe gelangt. Es schien ihr, als übertrage sich die düstere Atmosphäre des Hauses erst auf die Form ihrer Gespräche und nun deren Inhalt. Sie fror:
„Mir ist furchtbar kalt. Könnten wir abends Feuer machen, auch wenn es tagsüber immer noch warm ist?“
„Natürlich - mir wird nicht so schnell kalt. Es ist mir gar nicht aufgefallen, wie kühl es abends schon ist.“ Benthin sprang in hektischer Betriebsamkeit auf, froh, irgendetwas für seine Frau tun zu können, das ihr Wohlbefinden steigerte. Er entzündete das vorbereitete Stroh als Grundlage für das Entflammen kleinerer Holzstücke. Schon bald brannte ein behaglich wärmendes Feuer im Kamin. Er winkte Elli zu sich herüber:
„Komm, setz‘ Dich hier hin, dann wird es Dir gleich wärmer.“ Er zog einen Sessel in unmittelbare Nähe vor den Kamin und bedeutete ihr, sich zu setzen, während er zurück zum Tisch ging, um ihre Gläser zu holen. Dabei fiel ihm auf, dass Elli fast nichts gegessen hatte.
„Du hast ja kaum etwas gegessen. Hat es Dir nicht geschmeckt?“, fragte er besorgt. Erst jetzt fiel ihm auf, wie blass Elli aussah, so weit das nachlassende Tageslicht es überhaupt zuließ, dies zu beurteilen.
„Doch, ich habe nur keinen Hunger. Es ist nur… es ist alles so neu.“
„Ich weiß. Möchtest Du etwas Wein?“ Sie nahm das Glas, das er ihr reichte, während er sich unschlüssig neben den Sessel stellte und einen Schluck nahm. Elli spürte seine Unruhe. Er wirkte rastlos, als wollte er jegliche Nähe vermeiden. Einerseits wollte sie ihm nahe sein. Sie wünschte, er würde sich zu ihr setzen, unmittelbar neben sie auf die Armlehne, den Arm um sie legen und sie durch die Nähe seines Körpers wärmen.
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