Seine einzige Versuchung
nicht eitel, doch legte er großen Wert auf sein gepflegtes Erscheinungsbild, seine Kleidung war maßgeschneidert und klassisch. Gerade jetzt sah er allerdings beinahe so wild aus wie ein Schuljunge, der sich auf dem Heimweg mit ein paar anderen Jungs ein Wettrennen geliefert hatte und nun vollkommen erschöpft war. Wie selbstverständlich ging Elli die wenigen Schritte zu ihm und strich ihm liebevoll durch sein wirres Haar. Leise seufzte er behaglich auf, bevor er verstand, was die Berührung bedeutete. Während er den Kopf langsam vom Tisch erhob, murmelte er verschlafen:
„Lass‘ das lieber.“ Elli nahm zögerlich ihre Hand fort und antwortete leise:
„Ich bin wieder da und soll Dir schöne Grüße von allen ausrichten.“
„Danke, das ist nett von Dir. Ich muss eingeschlafen sein…“ Er war immer noch schlaftrunken. Elli sah nun erst, wie erschöpft er wirkte und hätte ihn am liebsten in den Arm genommen und zum Schlafen verdonnert. Doch sie fürchtete, er würde weder die Berührung zulassen, noch würde er sich etwas von ihr sagen lassen. Daher beschloss sie, sich zurück zu ziehen:
„Gute Nacht ... Julius.“ Sie machte Anstalten, die Tür zu schließen. Sein müder Blick verwandelte sich für einen Moment in einen Ausdruck zärtlicher Sehnsucht:
„Warte…“ Elli trat erwartungsvoll wieder einen Schritt in seine Richtung:
„Ja?“
„Ach, es ist nichts. Schlaf gut, Elli.“
Kabus reichte Elli ein Glas Champagner:
„Auf meine Schwäche für schöne Frauen!“, raunte er ihr leise zu. Elli versuchte, ernst zu bleiben und unterdrückte ein Glucksen. Sein leicht anzüglicher, aber nie impertinenter Humor war ihr inzwischen vertraut, und sie konnte leichter damit umgehen, ja, sie genoss inzwischen sogar die Art, mit er sie aufzog und gleichzeitig umgarnte. „Diesmal können Sie den Champagner nicht ablehnen - es ist schließlich schon Abend!“
„Sie wissen doch gar nicht, ob ich ihn abends mag“, entgegnete sie geistesgegenwärtig, was er mit Leichtigkeit zu übertreffen verstand:
„Solange Sie mich am Abend noch mögen, ist mir das egal.“ Er hatte sich dicht zu ihr hinüber gebeugt - seine Schulter berührte die ihre leicht - um die Worte für die umgebende Gesellschaft unhörbar zu machen. Sie standen am Büffet zum Anlass eines großen Balls, der jährlich um die Karnevalszeit in einem Festsaal im Rathaus stattfand. Alles, was in der Stadt Rang und Namen hatte, wurde zu diesem Ereignis eingeladen. Tatsächlich ging es weniger darum, sich Karnevalsbräuchen hinzugeben - es fand keine Kostümierung oder Maskierung statt. Vielmehr stellte der Ball eine Art Saisonauftakt für das bevorstehende Frühjahr dar. Man traf sich nach den langen Winterwochen, um sich politisch oder gesellschaftlich zu positionieren, neue Kontakte herzustellen oder alte zu festigen. Elli und Julius von Benthin gehörten selbstredend zu den geladenen Gästen, und da das Spendenprojekt des Frauenvereins ein solcher Erfolg war, wurden auch alle eingeladen, die in irgendeiner Form die gute Sache unterstützt hatten. Oberstleutnant Kabus war einer von ihnen.
Kabus hatte Elli inzwischen einige Male überzeugen können, mit ihm kleine Spaziergänge im Park zu unternehmen. Mittlerweile gelang es ihr, etwas gelassener auf seine zahlreichen doppelsinnigen Bemerkungen zu reagieren und ihn nicht immer allzu ernst zu nehmen. Ihm hingegen war es nicht entgangen, dass sie seine Art von Humor mochte. Er nutzte dies schamlos aus und hatte daran ganz nebenbei auch noch großes Vergnügen, da durchaus nicht alle Menschen seinen ironischen Worten zu folgen vermochten, ganz besonders Frauen taten sich oft schwer damit. Elli nicht - sie war gewitzt genug, um mit seiner Vorliebe für Sarkasmus umgehen zu können. Nachdem es ihm gelungen war, sie an seine verwegene Art zu gewöhnen, wurde sie aufgeschlossener. Er hatte ihr eine erlesene Mischung aus ernsthafteren Gesprächsthemen und kleinen, neckenden Anspielungen serviert. Dabei war Kabus nie zudringlich geworden. Seine Handküsse waren stets von größter Sorgfalt und Ergebenheit geprägt, um Elli keine Veranlassung zum Rückzug zu geben. Wenn er ihr Vertrauen gewinnen wollte, dann würde ihm das nur mit den richtigen Worten gelingen - das hatte er inzwischen verstanden. Sie war keine Frau, der er mit eindeutigen Annäherungsgesten imponieren konnte. Ihre Reaktionen zeigten ihm, dass er sich auf dem richtigen Weg befand.
Der heutige Abend stellte einen ganz besonderen
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