Seine einzige Versuchung
entsprach nicht ihrer Vorstellung von Freundschaft, und doch hätte sie es bedauert, wenn er sich auf einmal anders verhalten würde. Elli musste sich entscheiden, ob sie ihn konsequent zum Aufhören auffordern oder das Spiel noch ein wenig mitspielen sollte. Denn so kam es ihr beinahe vor: wie ein Spiel. Aber Spiele sind harmlos, oder nicht? Wenn sie ehrlich war, wollte sie, dass das Spiel noch weiter ging - das Karussell sollte sich noch ein paar Runden drehen. Die Gefahr, die darin lauerte, konnte sie nicht im vollen Ausmaß einschätzen…
Nach Kabus‘ Geständnis war sie für einen kurzen Moment erleichtert gewesen, da sich das erwähnte Laster nicht auf ihren Mann, sondern ihn selbst bezogen hatte. Sie atmete auf und musste schmunzeln, womit er offensichtlich nicht gerechnet hatte. Er nahm seine Hände von ihren Schultern:
„Also, wirklich! Ich lege Ihnen hier mein Herz zu Füßen, und Sie lachen mich aus!“ Er sah sie ernst an, dann konnte er sich nicht mehr halten und prustete los. Vor Lachen musste er sich krümmen und riss Elli förmlich mit. Ihr gemeinsames Gelächter wirkte wie eine Befreiung aus der beklemmenden Situation. Kabus beschloss spontan, einen Schritt weiter zu gehen, der ihn seinem Ziel näher bringen sollte:
„Wir sehen uns immer nur auf kurze Wortwechsel. Ich würde mich gerne einmal länger mit Ihnen unterhalten. Was halten Sie von einem Spaziergang im Stadtpark - nächste Woche nach Ihrer Arbeit? Kennen Sie den Park?“
„Natürlich - ich bin oft dort, wenn es meine Zeit erlaubt.“
„Na also, dann wäre das schon mal geklärt! Ich werde da sein!“ Kabus war hoch erfreut über ihre Antwort.
„Ich habe doch gar nicht zugestimmt! Sie haben sich meine Antwort einfach so hingebogen wie es Ihnen in den Kram passt!“ So einfach wollte Elli sich nicht geschlagen geben.
„Wie Recht Sie haben - Sie scheinen ebenfalls Gedanken lesen zu können. Möchten Sie sich der Form halber lieber noch ein bisschen zieren?“ feixte er sie nun herausfordernd an, wohl wissend, wie unwiderstehlich er in diesem Augenblick wirkte.
„Denken Sie nicht, dass so etwas Anlass zum Gerede gäbe?“
„ So etwas? Was denken Sie denn von mir? Ich spreche von einem Spaziergang ! Oder haben Sie etwa Angst vor mir… Elli?“, zwinkerte er ihr nun vertraulich zu - als sei er die Harmlosigkeit in Person. Nein, Angst empfand sie nicht, eher eine angenehme Aufgeregtheit, wenn sie mit ihm zusammen war. In ihrer Unerfahrenheit stimmte Elli zu, nicht zuletzt auch, um nicht zimperlich zu erscheinen. Sie konnte nicht ahnen, dass sie ihm damit ermöglichte, eine weitere Stufe nach oben auf der Treppe zu seinem Sieg zu erklimmen. Was soll schon großartig geschehen, wenn wir zusammen spazieren gehen in einem öffentlichen Park? Dabei erinnerte sie sich sehr genau, wie ihr Spaziergang mit Benthin im Wald schließlich geendet hatte. Doch eine Entwicklung in eine derartige Richtung erschien ihr ausgeschlossen. Stattdessen wurde ihr wieder einmal mehr bewusst, wie sehr sie die Zuwendung ihres Mannes vermisste. Es schien Ewigkeiten her, seit sich diese Begegnung zwischen ihnen abgespielt hatte, dabei war noch nicht einmal ein Jahr vergangen.
Nun ging sie also zurück in das Haus des Mannes, an dessen leidenschaftliche Zärtlichkeit sie sich vielleicht schon bald nur noch dunkel und schließlich gar nicht mehr würde erinnern können. Wie so oft, wenn er sich nicht auf irgendeiner politischen Versammlung - oder Gott weiß wo - befand, hielt er sich in seinem Büro auf. Elli wollte nicht einfach grußlos nach oben gehen und klopfte vorsichtig an die Tür. Da er nicht antwortete, ging sie schließlich hinein und sah ihn. Er hatte den Kopf in seinen Armen ruhend auf den Schreibtisch gelegt, vermutlich um sich kurz auszuruhen und war darüber offensichtlich fest eingeschlafen. Elli fühlte eine spontane Welle der Zärtlichkeit für diesen Mann, die sie sich nicht erklären konnte, da er ihr so fern war. Sein Anblick hätte sie vielleicht zornig machen sollen, da er sich zu viel zumutete, stattdessen hatte sie das Bedürfnis, ihn zu beschützen wie er so auf seinen - inzwischen etwas zerknitterten - Papieren lag und schlief. Sein dunkles Haar war zerzaust, sein Jackett und seine Krawatte lagen unordentlich auf Blöhms Stuhl. Benthin hatte die Ärmel seines Hemdes hochgekrempelt und die oberen Knöpfe geöffnet, auch die Knöpfe seiner Weste waren offen. So nachlässig gekleidet hatte Elli ihn noch nie gesehen. Er war
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