Seine Heiligkeit: Die geheimen Briefe aus dem Schreibtisch von Papst Bendedikt XVI. (German Edition)
festzustellen, mit welcher
Selbstsicherheit Gotti Tedeschi in seinem Schreiben an den Sekretär des Papstes
harsche Kritik an den Initiativen eines Päpstlichen Rates, einer Institution
des Vatikans, übt. Selten hat in der Kurie ein Laie das letzte Wort zur
Stellungnahme eines Klerikers oder gar eines Päpstlichen Rates. Doch die Zeiten
sind schwierig, und es liegen zu viele Akten auf dem Tisch, als dass man sich
Dissonanzen leisten könnte.
Dies wird erst ein paar Tage später, am 6. November, deutlich,
als Gotti Tedeschi einen weiteren Vermerk »persönlich/vertraulich« an den
Sekretär des Papstes schickt. Diesmal geht es um eine aktualisierte Behandlung
»wirtschaftlicher, politischer und sozialer Probleme, die ich zum Gegenstand
einer permanenten Diskussion machen möchte«. Die Risiken sind in der Tat so
beträchtlich, wie wir an den Geheimdokumenten erkennen konnten, dass sie den
Papst zum Einschreiten bewogen haben.
Unser Land
ist von ökonomischen Problemen bedroht, mit möglicherweise schwerwiegenden
sozialen Folgen, die Eure Heiligkeit interessieren und vielleicht veranlassen
könnten, sich zu der besorgniserregenden Lage zu äußern. […] Wenn die
Unternehmen nicht durch Bankkredite angemessen finanziell unterstützt werden,
könnten sie in Kürze schließen oder ihre Aktivitäten zurückfahren. Dies hätte
Arbeitslosigkeit und gravierende soziale Probleme zur Folge, und es wären
schätzungsweise an die 100 000 bis 200 000 Arbeitsplätze gefährdet.
Die Position von Gotti Tedeschi ist interventionistisch.
Der Heilige Stuhl soll bei der italienischen Regierung für besondere Maßnahmen
plädieren, die zur Entspannung der Lage beitragen. Noch einmal zeigen die
Dokumente, die aus dem Vatikan gelangen, in aller Deutlichkeit, welchen Druck
die kirchlichen Autoritäten auf Italien ausüben. Bedeutet Seelsorge auch, dass
man sich um die Portemonnaies der Leute kümmert? Aus dieser Perspektive schlägt
Tedeschi eine öffentliche Stellungnahme Benedikts XVI.
vor:
Lösung: Es
ist notwendig, die Kosten von Krediten zu verringern, und um dies zu erreichen,
muss man das »Risiko Italien«, das auf internationaler Ebene wahrgenommen oder
herbeigeredet wird, verringern. In der Praxis kann man dies erreichen, indem
man das Vertrauen in die Fähigkeit stärkt, Wirtschaftsreformen durchzusetzen,
die als unerlässlich (und vernünftig) gelten, um die Staatsverschuldung wieder
ins Gleichgewicht zu bringen […] Es besteht ein Glaubwürdigkeitsproblem,
welches das Land zu schwächen droht. Es könnte sinnvoll sein, über eine
öffentliche Erklärung (des Heiligen Vaters) nachzudenken, in der er seine Sorge
um die wirtschaftlichen Lösungen für das Land zum Ausdruck bringt, vor allem um
die schwächsten Gruppen der Bevölkerung, die vom Verlust ihrer Arbeitsplätze
bedroht sind, und zwar aufgrund der Untätigkeit, mit der man manchen
wirtschaftlichen und finanziellen Problemen im Land zu begegnen scheint. (Man
sollte den politisch Verantwortlichen noch einmal klarmachen, dass Führung ein
Mittel und kein Zweck ist. Und dass dies bedeutet, sich um das Gemeinwohl zu
kümmern.)
Es vergehen einige Tage, und zu den Gerüchten über eine Pleite
Griechenlands kommt noch die unvermeidliche Krise der Regierung Berlusconi
hinzu. In die Privatgemächer des Papstes gelangt ein neuer Bericht von Gotti
Tedeschi, der das unmittelbar bevorstehende Ende der Regierung »ankündigt«. Der
Präsident des IOR wendet sich an Don Georg und äußert
sich zu drei grundsätzlichen Problemen der weltweiten Ökonomie: Was hat die
aktuelle Wirtschafts- und Finanzkrise herbeigeführt? Wie hat sich die Krise in
den letzten drei Jahren entwickelt? Und an welchem Punkt stehen wir heute? Dann
kommt er auf Italien zu sprechen. [6] Gotti Tedeschi verweist auf den
Vertrauensverlust Berlusconis als Grund für dessen Ende: »In Europa«, so
erklärt er, »glaubt man nicht an das berühmte ›Stabilitätsgesetz‹, weil es zu
spät geplant wurde und Lücken aufweist und weil Berlusconi, Bossi und Tremonti
sich nicht einig sind. Der umfangreiche Änderungsantrag ist vom Quirinal
gewollt, nicht von der Regierung. […] Berlusconi hat auch aus anderen, weniger
offensichtlichen Gründen seine Glaubwürdigkeit verloren, etwa wegen des
Einvernehmens mit Putin und der Distanz gegenüber Deutschland.« [7] Damit erklärt er, warum der Cavaliere auf besonderen Druck der EU die Bühne
verlassen muss, um seinen Platz für die
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