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Seine Lordschaft lassen bitten

Titel: Seine Lordschaft lassen bitten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dorothy L. Sayers
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Liste setzen und dann vernichten. Dabei entstellen sie die Gesichter mit dem Kennzeichen der Geheimgesellschaft und verdecken die Spuren des Meuchelmörders so vollständig – ihnen stehen ja Geld und Hilfsmittel zur Verfügung –, daß niemand sie belangen kann.«
    »Solche Dinge habe ich natürlich auch gelesen«, gab der Dicke zu, »aber ich dachte, das gehörte ins Mittelalter. So etwas gab es einmal in Italien. Ein Gomorrha oder so ähnlich. Existiert das heutzutage noch?«
    »Sie haben ein wahres Wort gesprochen, Sir, als Sie Italien erwähnten «, erwiderte der sittsame Mann. »Der italienische Geist ist für Intrige wie geschaffen. Und wenn man etwas tiefer in das Land eindränge, würde man erstaunt sein über die zahllosen Geheimgesellschaften, von denen es dort wimmelt. Geben Sie mir da nicht recht, Sir?« fügte er hinzu, indem er sich an den Reisenden erster Klasse wandte.
    »Ach ja«, meinte der Dicke, »dieser Herr ist gewiß in Italien gewesen und weiß darüber Bescheid. Würden Sie diesen Mord für das Werk einer Gomorrha halten, Sir?«
    »Das hoffe ich nicht«, erwiderte der Angesprochene. »Ich meine, das würde das Interesse zerstören, nicht wahr? Ich selbst ziehe einen netten, ruhigen, einheimischen Mord vor, wo der Millionär tot in der Bibliothek aufgefunden wird. Wenn ich einen Detektivroman aufschlage und einen Anhänger der Camorra darin finde, versiegt bei mir das Interesse sofort und verwandelt sich in Staub und Asche – eine Art von Sodom und Camorra sozusagen.«
    »Darin gebe ich Ihnen recht«, mischte sich der junge Ehemann ein, »sozusagen vom künstlerischen Standpunkt aus. Aber in diesem besonderen Falle spricht, glaube ich, manches für den Standpunkt dieses Herrn.«
    »Nun«, gab der Reisende erster Klasse zu, »da ich die Einzelheiten nicht gelesen habe –«
    »Die Einzelheiten sind deutlich genug«, bemerkte der sittsame Mann. »Diese arme Kreatur wurde heute am frühen Morgen tot am Strande von East Felpham aufgefunden, und sein Gesicht war in der gräßlichsten Weise verstümmelt. Er war nur mit einem Badeanzug bekleidet.«
    »Einen Moment. Wer war es zunächst einmal?«
    »Man hat ihn noch nicht identifiziert. Seine Kleider sind verschwunden.«
    »Das sieht mehr nach Raub aus, nicht wahr?« äußerte sich Kitty.
    »Wenn es sich nur um Raub handelte«, entgegnete der sittsame Mann, »warum ist sein Gesicht dann so verstümmelt worden? Nein, die Kleidung ist entfernt worden, um, wie ich schon sagte, die Identifizierung zu verhindern. Das machen diese Gesellschaften doch immer so.«
    »Hat man ihn erstochen?« fragte der Reisende erster Klasse.
    »Nein«, erwiderte der Dicke, »nicht erstochen. Man hat ihn erwürgt.«
    »Keine typisch italienische Mordmethode«, bemerkte ersterer.
    »Da haben Sie recht«, versicherte ihm der Dicke. Der sittsame Mann schien ein wenig zerknirscht zu sein.
    »Und wenn er an die Stelle ging, um zu baden«, ließ sich der hagere, ältliche Mann hören, »wie ist er dahin gelangt? Irgend jemand muß ihn mittlerweile doch vermißt haben, wenn er sich in Felpham aufhielt. Während der Feiertage ist es ein ziemlich besuchter Ort.«
    »Nein«, widersprach ihm der Dicke, »nicht East Felpham. Sie denken an West Felpham, wo der Jachtklub ist. East Felpham ist einer der einsamsten Orte an der Küste. Es steht kein Haus in der Nahe außer einem kleinen Gasthof, der ganz für sich allein am Ende einer langen Straße liegt, und danach muß man noch durch drei Felder gehen, ehe man an die See kommt. Es führt keine richtige Straße dahin, nur ein Karrenweg, aber man kann zur Not mit einem Auto darauf fahren. Ich bin einmal dort gewesen.«
    »Er ist mit einem Auto gekommen«, sagte der sittsame Mann. »Man hat die Wagenspuren entdeckt. Aber das Auto ist wieder fortgefahren.«
    »Es sieht so aus, als ob die beiden Männer zusammen dorthin gefahren sind«, meinte Kitty.
    »Das glaube ich auch«, pflichtete ihr der Mann bei. »Das Opfer ist wahrscheinlich gefesselt und geknebelt an die Stelle gefahren worden, dann herausgetragen und erwürgt und –«
    »Aber warum sollten sie sich die Mühe gemacht haben, ihm einen Badeanzug anzuziehen«, wandte der Reisende erster Klasse ein.
    »Weil«, erwiderte der sittsame Mann, »wie ich schon sagte, sie keine Kleidung zurücklassen wollten, die seine Identität verraten konnte.«
    »Ganz recht, aber warum haben sie ihn nicht einfach nackt dort liegen lassen. Ein Badeanzug scheint unter den Umständen auf eine

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