Seine Toten kann man sich nicht aussuchen: Eine Polizistin erzählt (German Edition)
»Schätzchen, ich würde dich zu gerne nach Hause zu Papi fahren. Dummerweise geht das nicht. Heute habt ihr euch eine Straftat zu viel geleistet. Heute schlaft ihr bei uns, in der kuscheligen Zelle. Da darfst du dir dann überlegen, was du falsch gemacht hast. Und wenn du noch mal Fotze sagst und nicht langsam deinen Ton anpasst, dann bin ich mir sicher, dass wir einen netten Zellengenossen für dich finden.«
Während meiner kleinen Ansprache ist Klein-Murat ziemlich blass um die Nase geworden. »Ey, du machst Witze, Fotze, oda?«
Uwe schüttelt den Kopf: »Ich befürchte, sie meint das ernst, Murat.«
»Ey, hab ich mit disch geredet, du Hühnerficker?«
Auf Uwes Stirn erscheint eine pochende kleine Ader, die erst verschwindet, als wir die beiden Jungs mit zwei Streifenwagen ins Gewahrsam gebracht haben und beide beim Anblick der hohen Mauern und kahlen Flure sichtlich erbleichen.
»Ey fuck, ich will nach Hause!« Marcel versucht, sich aus meinem Griff zu winden. »Ey, lass mich los, du dumme Sau!!«
Er spuckt nach mir, aber ich weiche aus. Eine Sekunde später liegt der Kleine auf dem Boden, und zwei Beamte vom Gewahrsam ziehen Marcel einen Mundschutz über. »Gespuckt wird hier nicht!«
»Fick dich! Ich war das nicht!! Das war Murats Idee! Ich geh nicht in den Knast! Mamiiii!!«
»Alter, halt’s Maul, oder mein Bruder kommt und sticht dich ab!«, tönt sein Kumpel. »Ich schwör, der sticht dich ab!«
Fast muss ich wegen ihres kleinen Dialogs lachen, wäre das Ganze nicht so dramatisch. Die alte Kioskbesitzerin liegt im Krankenhaus und hat von der Gaspistole Verbrennungen im Gesicht, außerdem hat sie durch die Aufregung einen leichten Schlaganfall erlitten. Und wir müssen uns hier mit zwei Kindern herumschlagen, die dummerweise nie ihre Grenzen aufgezeigt bekommen haben und jetzt zu alt sind, um sie noch kennenzulernen.
Zwei Schachteln Zigaretten und zwölf Euro haben sie bei ihrem Beutezug verdient. Schwerer Raub. Zwölf Euro und zwei Schachteln Zigaretten als Lohn für eine Straftat mit einem Mindeststrafmaß von fünf Jahren.
Wie oft hab ich die beiden jetzt schon bei irgendeiner Scheiße erwischt, wie oft hab ich hilflos zugesehen, wie sie nach einer Standpauke vom Jugendrichter, nach Sachbeschädigungen, Körperverletzungen, kleineren Einbrüchen und Diebstählen wieder gehen durften. Und wie sie sich regelmäßig direkt vor uns kaputtlachten ob ihrer vermeintlichen Pfiffigkeit.
Wer will mir verdenken, dass ich den Moment genieße, in dem Murat und Marcel in zwei Zellen gesperrt werden und ich die Panik in ihren Augen sehe, als die schweren Türen zufallen und sie verstehen, dass dies kein schlechter Scherz, sondern bitterer Ernst ist? Wer will mir sagen, dass es falsch ist, mich zu freuen, dass die beiden endlich mal ein paar Monate zumindest von der Straße sind?
Gut, Murat und Marcel sind nur zwei von vielen. In ihrer kleinen Bandenhierarchie werden schnell andere nachwachsen und ihren Platz einnehmen, und in ein paar Wochen lassen wir uns dann nicht von Klein-Murat und Marcel Hühnerficker und Fotze nennen, sondern von Hans und Anatoli. Egal. Die Genugtuung bleibt, obwohl ich genau weiß, dass Murat und Marcel keine Lehre aus dem Knastaufenthalt ziehen werden, sondern lediglich die Zeit nutzen, um ihre Fähigkeiten als Autoknacker, Einbrecher und Schläger zu verfeinern.
»Du glaubst auch nicht, dass die beiden geläutert wieder in Chorweiler erscheinen, oder?«
Uwes Antwort auf meine Frage ist ein bitteres Lachen. »Das wäre illusorisch, und dann hätten wir hier in Chorweiler ja auch nichts zu tun, wenn die Läuterung im Knast funktionieren würde. Obwohl – da wären ja noch Kalk, Mülheim, Finkenberg, Höhenberg, Meschenich …« Er zählt die Kölner Problembezirke an seinen Fingern ab. Bei zehn sieht er mich an: »Und hey, sonst wären wir ja unseren Job los!«
Aus dem Zellentrakt schallt ein letztes »Fotzääää!« hinter uns her, dann steigen wir in den Streifenwagen und rollen langsam vom Hof.
»Bleibt zu hoffen, dass sie ihnen im Knast ein paar bessere Schimpfwörter beibringen, das ewige Fotze ist schon irgendwie ermüdend, findest du nicht?«
Ich nicke, während wir zusehen, wie die Sonne hinter den Hochhäusern untergeht. Im Abendlicht sehen sie malerisch und fast ein bisschen friedlich und schön aus.
Ich hoffe, es geht dir besser,
da, wo du jetzt bist.
2007
Genauso, wie wir die einen Bösewichter erwischen und die anderen nicht, wie wir die einen laufen
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