Seine Toten kann man sich nicht aussuchen: Eine Polizistin erzählt (German Edition)
ganz schwindelig wird.
Mittlerweile habe ich mein Studium erfolgreich hinter mich gebracht, dürfte, wenn ich wollte, den Titel einer diplomierten Verwaltungswirtin führen und trage einen silbern glänzenden Stern auf jeder Schulterklappe. Auf meinen Wunsch hin werde ich wieder nach Köln versetzt, meine Heimatdienststelle ist nun die Wache Porz im Kölner Südosten.
Porz hat ein wenig den Charme einer Vorstadt, birgt jedoch Abwechslung durch die Nähe zum Flughafen und durch die ländlichen Stadtteile wie Langel und Libur und die Hochhaussiedlungen wie Finkenberg.
An diesem schönen Morgen im Dezember rollen Sonia und ich also im Streifenwagen durch die Straßen von Porz. Ich lümmele auf dem Beifahrersitz und genieße die Strahlen der Wintersonne, während die Kollegin mich durch Straßen und Gässchen chauffiert. Plötzlich erwacht knatternd unser Funkgerät zum Leben:
»…straße, Streitigkeiten zwischen Nachbarn. Die Herrschaften scheinen jetzt handgreiflich zu werden. Fahrt mal ruhig was schneller!«
Leichter gesagt als getan, wir sind ja neu hier. Ratlos schauen wir uns an. Der Straßennamen sagt uns gar nichts. Während Sonia schon mal in die grobe Richtung losbraust, in der wir den Einsatzort vermuten, tippe ich mit fliegenden Fingern auf meinem privaten Navigationsgerät herum, das ich zumindest jetzt, in der Anfangszeit im neuen Wachbereich, für Notfälle immer dabeihabe.
Während wir blau blinkend und ordentlich laut durch die Straßen rasen, bastele ich das Gerät an die Windschutzscheibe. Wir haben Glück: Unsere Vermutung war richtig, die Richtung stimmt.
Dummerweise ist so ein Navi auf normale Geschwindigkeiten eingestellt, sodass die Ansagen, wenn man mit Blaulicht und Martinshorn durch die Ortschaft rast, meist ein wenig verspätet kommen. Also übernehme ich die Ansagen: »Rechts, nächste links … 200 Meter geradeaus«, mime ich den Navigator, und wir halten ohne Zeitverzögerung bei der angegebenen Adresse.
Zwei riesige weiße Villen stehen sich gegenüber. Bereits auf dem Weg dorthin waren mir die teuren Autos vor den großen Häusern aufgefallen, die gepflegten Vorgärten und die ordentlich geweißten Gartenmauern. Mir ist rasch klar, dass wir uns hier definitiv nicht an einem sozialen Brennpunkt befinden.
»Ich dachte immer, in solchen Vierteln wäre die Welt noch in Ordnung«, murmele ich beim Aussteigen und werfe die Tür des Streifenwagens kräftig ins Schloss, um die beiden Streitparteien, die sich über eine mit schmiedeeisernen Zaunelementen geschmückte Mauer hinweg lautstark anbrüllen, auf uns aufmerksam zu machen.
Leider erzielt das nicht den gewünschten Effekt. Auf der rechten Seite des Zauns steht ein älterer Herr, dessen Gesicht und Glatze schon eine ungesunde rote Farbe angenommen haben. Auf der anderen Seite sehen wir zwei etwa neunzehnjährige Burschen, die zwar lässiger wirken, an Lautstärke dem Herrn jedoch in nichts nachstehen. Auf der Terrasse des rechten Hauses hat sich offenbar die Gattin des rotköpfigen Schreihalses postiert und brüllt ebenfalls aus vollem Leib Beschimpfungen, deren Unflätigkeit nicht wirklich zu der schicken weißen Villa passt.
»Polizei! Beruhigen Sie sich doch erst mal!«, mischt sich Sonia ein und tritt durch das Gartentürchen auf das Grundstück des älteren Herrn.
»Wo liegt denn das Problem?« Freundlich lächelnd geht sie auf die Streithähne zu, während ich mich zögerlich nähere und keine der vier Personen aus den Augen lasse. Mein Bauchgefühl meldet sich ganz rapide und heftig, und eigentlich hat das noch nie falschgelegen: Hier passiert gleich was.
Mein ganzer Körper ist angespannt, während ich Sonia zuhöre, die zu klären versucht, worum es überhaupt geht. Nervös fliegt mein Blick von rechts nach links und wieder nach rechts. Gerade will ich mich entspannen, weil ich außer den erhitzten Gemütern keine offensichtliche Gefahr erkenne, als die Diskussion wieder hochkocht.
»Der alte Knacker hat uns Nägel unter die Reifen gelegt!«, brüllt einer der beiden jungen Kerle.
»Vollkommen zu Recht!«, schreit der alte Herr zurück. »Immer rasen diese Drecksneureichen mit ihren Scheißautos wie die Asozialen durch die Straße. Da muss man doch Maßnahmen ergreifen! Wir sind hier ein anständiges …«
In dem Moment passiert, was mein Bauchgefühl angekündigt hat: Der Mann greift sich noch im Sprechen an die Brust, sein Gesicht verfärbt sich schlagartig von rot zu weiß, und er sackt in die Knie.
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