Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Seine Zeit zu sterben (German Edition)

Seine Zeit zu sterben (German Edition)

Titel: Seine Zeit zu sterben (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Albert Ostermaier
Vom Netzwerk:
Schrank, denn er wollte frieren, er wollte Gott in keiner wohligen Wärme gegenübertreten, sondern wie ein Gladiator, der mit nacktem Oberkörper gegen Löwen kämpft, Tiger, Nashörner, Krokodile, gegen Gott und alles, was er erschaffen hat auf Erden. Warum war er auf die Welt gekommen, wenn nicht für diesen ungleichen Kampf? Er las Bücher, die er nicht verstand, die ihm beweisen wollten, Gott gäbe es nicht, er sei ein Hirngespinst, ein Gespenst, das in seinem Hirn spukt und sagt, mich gibt es nicht, dass die kalte Luft durch die Gedanken jagt, die Türen knallen lässt. Immer zog es in seinem Kopf, und der Zug vereiterte seine Stirnhöhlen, seine Nebenhöhlen. Gott kämpfte unfair, mit Bronchitis, mit Asthma, mit seinen Biowaffen, seinem Atem voller Viren, wenn er in die Wolken schneuzte oder vergaß, seine Hand vor den Mund zu halten und aus dem Himmel spuckte.
    Bei schlechtem Wetter sagte er sich: Gott hat sich an mir erkältet, du Memme, komm raus, komm spielen, wir gehen auf den Platz, du stehst im Tor. Und so drosch er den Ball gegen das Garagentor. Gott war der Nachbarjunge, mit dem er sich prügelte, wenn er den Ball jonglierte, wenn er stundenlang um ihn herumdribbelte, ihm die Kugel zwischen die Beine schob oder auf sein Gesicht zielte, ihm in die Knöchel grätschte und sich dabei die Schenkel aufschürfte. Jeden Abend kam er blutig heim und zeigte seine Wunden wie Stigmata, jeder blaue Fleck war ihm der Beweis, dass es Gott gab, dass er zwar der Ältere war, aber irgendwann würde er ihm über den Kopf wachsen wie seiner Mutter.
    Sie hatten außerhalb des Dorfes gewohnt. Er war viel allein. Nur er und Gott, der in der Küche hing, im Esszimmer, in seinem Schlafzimmer, der sich aber nicht in den Keller traute. In seinen Keller traute sich nur Ödön, Gott blieb an der Treppe stehen. Und Ödön überwand seine Angst und ging die Stufen hinab in den feuchten Keller, wo die Äpfel lagerten, die sündigen Äpfel, wo der Wein an der Wand ruhte, Blut von meinem Blut, in den Gefriertruhen das Fleisch im Eis wartete, wo die Schinken an der Decke hingen, überzogen mit Zeit, wo die Fallen aufgestellt waren, wo die alten Koffer, aufeinandergeschichtet, eine Höhle gaben, wo die Zahlenschlösser alle Geburtstage verrieten, wo ein Raum verschlossen blieb, ein Raum, der tiefer führte, noch tiefer hinab, ein Raum, der das Geheimnis seines Vater blieb und dessen Zahlenschloss kein Geburtstag, sondern ein Todestag verschloss.
    Und die Sauna war dort, wo sie zusammen schwitzten, gegen die Sanduhr anschwitzten, wo er allein saß, obwohl er es nicht durfte, und sich vorstellte, Gott ließe den Stuhl neben der Tür umfallen und schloss ihn ein in der Hitze, schloss ihn ein in der Wüste, aus der es keinen Ausweg gab außer als Schweiß, außer in einem Meer von Schweiß, wo er gegen das Glas trommelte, wo er die glühenden Steine mit dem Handtuch umkrallte und gegen die Scheibe schlug, ohne dass sie sprang, bis Gott ihm mit einem Lächeln vor der Tür erschien. Aber Gott traute sich ja nicht in den Keller, sagte sich Ödön, und erwachte aus seiner Phantasie.
    Noch heute hatte Ödön Platzangst in der Sauna, aber konnte nicht anders, als in jedem Hotel, in dem er ein Zimmer genommen hatte, in die Sauna zu gehen, als müsse er mit seinem Schweiß die Orte markieren, Schweiß von meinem Schweiß, als müsse er im Schweiß seines Angesichts dem Sand zuschauen, wie er fiel, nach unten fiel, rieselte, am Ende verdickte, wenn die Zeit stockte, verklumpte, nicht durch das Nadelöhr kam, weil er immer reicher wurde, weil er seinen Reichtum nicht wegschwitzen konnte, weil sein schlechtes Gewissen nicht verdunstete, er aber das kalte Wasser danach liebte, die nackte Haut den Schnee, die Schläge mit den Zweigen, das Loch im Eis, die Sekunden, in denen er einfach tauchen wollte, unter das Eis tauchen, so weit tauchen, bis er nicht mehr zurückkam, die Lippen gegen die unsichtbare Hand Gottes gepresst.
    Hätte er das alles dem Pater erzählen sollen, durch ihn hindurchsprechen zu Gott, Gott, du hast gewonnen am Ende, du hast mich in Sicherheit, du hast mich in Glück gewiegt, dich verpisst, versteckt, in der hintersten Ecke versteckt, im Windschatten, in der Steuer, die ich überwies, hast Weihnachten und Ostern eine Karte geschickt, schau doch mal vorbei, hast mich dich unterschätzen lassen, weil die, die deinen Namen trugen, nicht in den Ring stiegen, sondern in den Seilen hingen, in denen sie sich und ihre Opfer verstrickt

Weitere Kostenlose Bücher