Seine Zeit zu sterben (German Edition)
Sie persönlich beleidigt, weil ich Gott beleidigt habe? Nehmen Sie es persönlich? Ziehen Sie sich alles an, was ich über Gott sage? Und wie steht es für Gott, steht er gerade für das, was Sie getan haben?«
»Was Sie mir angetan haben«, wollte er nachschieben, aber war abgelenkt, weil sich vor der Tür Geräusche abzeichneten, Stimmen, Stimmengewirr.
»Schaut, ob er in der Kirche ist, vielleicht ist der Junge in der Kirche, vielleicht hat er sich dort versteckt«, hörte er die Helfer des Suchtrupps schreien. Und ihre Stimmen klangen, als schrien sie gegen den Schnee an.
Drei Männer stürmten in die Kirche, schneebedeckt, das Eis ins Gesicht geschrieben, die Müdigkeit, gegen die Kälte und die Vergeblichkeit des Schnees zu suchen, überall zu suchen, und nichts zu finden, weil alle Spuren verschwunden sind, überschneit, überschrieben mit Schnee, weggeblasen vom Wind, niedergewalzt von den Raupen, zertreten von Schaulustigen, von den besoffenen Streifzuschauern, die noch über die Pisten irrten, als könnten sie niemals den Weg zurück finden, die nächsten, die sie suchen mussten, die die Hunde suchen mussten, die sie erfroren fänden, Schnapsleichen, Schnapsschneeleichen, rot-weiße Schnapsflaschen, selbstgebrannte Hirnlose mit rauhgeschrienen Stimmbändern, gestürzt, überschlagen, ins Schneeloch gefallen, offene Bindungen, gebrochene Ski, Hüttenwände, Mauern, an denen die geplatzten Schädel kleben, wo das Blut sofort gefriert. Die Helfer ahnten das Schlimmste, und ihnen war klar, die Zeit, die Zeit, lachte sie immer aus, ihr schafft es nicht, nie schafft ihr es, mir gehört schon eine Zehe, ein Bein, der Arm, die Lunge, ich hab sie zusammengepresst mit meiner Faust wie einen Schneeball, dort, dort, da fliegt er.
»Schaut unter den Bänken nach, in der Sakristei, in jedem Winkel. Gibt es hier einen Dachstuhl, ist oben noch ein Raum?« Der Anführer war von der Bergwacht, er wusste, was er tat, was zu tun war. Die anderen waren Helfer, Freiwillige, vielleicht Eltern, die jetzt am Boden krochen, sich unter die Bänke bückten.
»Nichts, da ist nichts«, wiederholte der Ältere, sichtlich außer Atem, kurz davor, in Tränen auszubrechen, als ginge es um seinen Enkel. Er war mit seinem Enkel auf der Piste gewesen, sie hatten sich gestritten, es hätte auch sein Enkel sein können, der jetzt verschwunden war, entführt, die Russen, überall die Russen, es waren die Russen, hatte er im Sonnbühel geschimpft, und die Russen am Tisch gegenüber fixiert, bevor ihn die Angst überkam, sie könnten im Schnee ein Grab für ihn schaufeln, sofort meldete er sich freiwillig, stand im Lokal, forderte alle auf, wir müssen mithelfen, bis ihn der Mann von der Bergwacht bremste, beruhigen wollte, ihn dann nicht mehr abschütteln konnte. Jetzt hatten sie ihn im Schlepptau, sie mussten ihn durch den Sturm mitschleppen, hinauf-, hinabschleppen, zumindest konnte er Ski fahren.
»Habt ihr schon im Beichtstuhl geschaut? Warum schaut keiner im Beichtstuhl. Er ist im Beichtstuhl, sicher!« Der Bergwachtler drängte zum Beichtstuhl, rutschte mit seinen Skischuhen aus, knallte kurz vor dem Beichtstuhl an eine Kirchenbank, schlug sich die Stirn auf, sackte zusammen. Die anderen eilten zu ihm, als würden sie an einem Grat über dem Abgrund balancieren. Er blutete, war kurz weg gewesen. »Schon gut!«, wiegelte er ab, »haut’s ab.«
Ödön geriet in Panik. Was dachte der Pater, warum saß er noch neben ihm? Warum war er nicht herausgestürmt, warum fragte er sich nicht, warum Ödön nicht herausgestürmt war, warum blieb er still? Ahnte er etwas? Hatte er Angst? Durfte er das Beichtgespräch nicht unterbrechen? Welche Tür würden sie zuerst öffnen? Seine? Was dann? Was würde er sagen? Oder die des Paters? Wartete der nur darauf? Hoffte er, sich so zu befreien aus seiner Beichte? Die drei sortierten sich, der alte Mann hatte sich als Erster gefangen, er war kurz vor dem Beichtstuhl, er kam aus der Reihe zwischen ihnen, zu welcher Tür ginge er zuerst?
Jetzt waren es nur noch zwei Schritte. Ödön spürte den Zug im Vorhang, der ihn vom Kirchenraum trennte, er sah die Hand, die den purpurnen, schweren Stoff mit den nassen Handschuhen wegzog und Ödön den Blicken freigab wie einen Schuldigen, den nackten Büßer, ausgestellt, zusammengekauert im Beichtstuhl, den Helm über den Kopf, als könne er seine Schuld bedecken, als könnte er die Gedanken in seiner Stirn verbergen. Gleich würden sie aufschreien: Hier, hier ist
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