Seit du tot bist: Thriller (German Edition)
Dr. Rodriguez bei der Geburt half. Er zahlte ihr einen zehnfachen Jahreslohn für diese eine Geburt – unter der Bedingung, dass sie den Mund hält.«
In meinem Kopf scheinen eine Million winziger Bomben zu explodieren. Könnte Dr. Rodriguez tatsächlich vorgetäuscht haben, dass Beth gestorben war, und dann seine Angestellten für ihr Stillschweigen bezahlt haben? Mein Verstand schreit, dass das alles Lügen sind, aber wenn ich Lucy in die Augen sehe, dann sagt mir mein Instinkt, dass sie aufrichtig ist.
Ich versuche mich zu konzentrieren, eine sinnvolle Frage zu formulieren, eine Probe …
Was ist mit Beths Chromosomenanomalie? Und mit der Tatsache, dass ich ein Bild unseres toten Kindes gesehen habe und dass Art sie mit eigenen Augen gesehen hat? Und warum sollten angesehene Ärzte ihre Zulassung dadurch riskieren, dass sie gesunden, wohlhabenden Frauen die Babys stehlen?
Die Frage, die ich stelle, ist eine andere.
»Warum erzählen Sie mir das?« Mein Stimme bebt. Mein ganzer Körper zittert, aus Wut oder weil ich schockiert bin, ich weiß es selbst nicht. Ich blicke Lucy ins angsterfüllte, abgespannte Gesicht. »Warum jetzt?«
»Ich habe es selbst erst erfahren«, antwortet sie. Ihr treten Tränen in die Augen. »Meine Schwester … Mary … Sie ist vergangenen Monat gestorben. Krebs. Darmkrebs. Spät erkannt, es hat sie schnell dahingerafft, aber kurz bevor sie … vor dem Ende hat sie mir alles erzählt … wie es wirklich war.« Sie hält inne. Ich sehe sie eindringlich an.
»Und?«, frage ich.
»Mary und ich sind katholisch erzogen worden«, fährt sie fort, und ihre Stimme ist nur noch ein Flüstern. »Mary sagte, sie wisse, dass sie etwas Falsches getan habe und dass sie mit einer so furchtbaren Sünde nicht ins Grab könne. Ich weiß nicht, warum sie mich hätte anlügen sollen, und außerdem wurde durch das, was sie mir erzählte, alles so einleuchtend … wissen Sie, wo sie und Ronnie zum Beispiel plötzlich das Geld für das neue Haus herhatten und … und … das hat sie mir erzählt, Mrs. Loxley, sonst nichts. ›Ihr Baby kam lebend zur Welt.‹ Das waren ihre Worte. Sie sagte: ›Sie tut mir so leid, diese arme Frau, denn sie haben ihr das Baby weggenommen und ihr gesagt, das kleine Ding sei tot.‹«
Mein Herz pocht so laut, dass es im ganzen Café zu hören sein muss. Es kann nicht wahr sein. Und dennoch möchte ich, dass es wahr ist. Ich möchte es und möchte es doch nicht …
»Also … wenn Sie recht haben …« Ich ringe um jedes Wort. »Wenn das wirklich stimmt, was Sie sagen, wo ist dann … wo ist mein … mein Kind jetzt?«
Tiefe Falten in Lucys Gesicht zeugen von ihrem Mitgefühl. »Ich weiß es nicht«, sagt sie. »Es tut mir leid, aber ich weiß kein bisschen mehr als das, was ich Ihnen gerade erzählt habe. Mary war dem Ende nah, als sie es mir erzählt hat. Danach hat sie nicht mehr viel gesagt, aber wenn ich ehrlich bin, glaube ich nicht, dass sie sonst noch etwas über Ihr Baby wusste.«
»Aber …?« Ich breche ab, muss mir erst darüber klar werden, was ich eigentlich fragen will. »Warum sollte Dr. Rodriguez mein Baby stehlen? Das ergibt doch keinen Sinn. Ich meine, wenn jemand anderes ein Baby haben möchte, aber keines bekommen kann, könnte er doch eines adoptieren oder von einer Leihmutter austragen lassen? Warum stiehlt er es nicht von einer sehr armen oder sehr jungen Frau, die sich schlecht wehren kann?«
»Ich weiß es nicht.« Lucy lässt resigniert die Schultern fallen. »Mary sagte, nur sie, der Arzt und der Anästhesist seien eingeweiht gewesen. Der Arzt habe ihr das Kind gereicht, während er Sie wieder zunähte.«
Mein Mund ist ausgetrocknet. Ich trinke einen Schluck.
»Sie behaupten, auch der Anästhesist habe Bescheid gewusst?« Ich versuche mir ins Gedächtnis zu rufen, wie er ausgesehen hat, aber mehr als ein Paar buschiger Augenbrauen über dem Mundschutz bringe ich nicht zustande. »Wissen Sie seinen Namen?«
»Nein«, meint sie. »Den weiß ich nicht.«
Ich schüttele den Kopf. »Also gut …« Ich versuche, die Gewalt über meine Worte zu behalten, damit sie richtig herauskommen. »Also gut … ich begreife, warum Ihre Schwester es Ihnen erzählt hat, aber … warum sind Sie hier und erzählen mir alles?«
Lucys Wangen laufen rot an. »Nun, ich wollte das genauso wenig auf meinem Gewissen haben wie Mary … und außerdem … Bernard … das ist mein Mann … er ist vor Kurzem entlassen worden, und nun … jedenfalls schien es mir das
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