Seit du tot bist: Thriller (German Edition)
Ende folgt dann ziemlich kratzbürstig »Hoffentlich haben Sie uns bald Neuigkeiten zu berichten«. Das bezieht sich natürlich auf meine Schriftstellerei. Ich hatte gerade mein viertes Buch geplant, als Beth starb. Seither habe ich kein einziges Wort geschrieben. Ich habe in meinem Vertrag nachgesehen, und da steht nichts davon, dass ich ihr zu einem bestimmten Datum meine nächste Idee präsentieren müsste. Da ich aber nun schon seit acht Jahren nichts produziert habe und auch an nichts arbeite, frage ich mich schon, wann sie wohl die Nase voll von mir hat und mich wieder auf den Manuskriptstapel zurückpfeffert, aus dem sie mich gezogen hat.
Die letzte Mail ist von Morgan, Arts Schwester. Die habe ich mir bis zuletzt aufgehoben, weil ich mich praktisch nach jedem Austausch mit Morgan völlig unzulänglich fühle. Dabei ist es nicht einmal ihre Schuld, dass sie so gepflegt und ultra-effizient ist. Sie und Art haben ihre Kindheit nicht gemeinsam, sondern an entgegengesetzten Polen des sozialen Spektrums verbracht. Morgan wuchs in Edinburgh auf, privilegiert und umgeben von der Pracht der Privatschulen. Art hingegen war der uneheliche Sohn von Morgans Vater und einer hübschen Kellnerin in London und verlebte mit seiner alleinerziehenden Mutter in Archway eine ärmliche Kindheit und Jugend.
Ich zwinge mich, Morgans Mail zu lesen. Natürlich fragt sie mich nach den Vorbereitungen für Arts Geburtstagsparty, die, wie Hen mich vorher erinnert hat, diesen Freitag steigen soll. Ich hole tief Luft. Ist ja eigentlich kein Problem. Unseren Freunden habe ich schon Bescheid gesagt und hatte eigentlich vor, irgendwann bei M&S vorbeizuschauen und etwas zum Essen für das Fest einzukaufen. Wir haben einen sehr gut bestückten iPod und jede Menge Sprit – Art kauft im Rahmen irgendeiner Geschäftsvereinbarung Wein und Bier en gros, und unser Wohnzimmer ist im Grunde nichts anderes als eine einzige große Hausbar.
Meine dürftigen Vorbereitungen werden Morgan allerdings kaum zufriedenstellen. Ich lese ihre Mail mit zunehmend schlechtem Gewissen – und Ärger.
Hey Gen!!! Wie läuft’s? Ich habe vor, Freitagmittag zu euch zu stoßen (Nachtflug von New York, wo ich auf einer Konferenz bin). Ich hoffe, das ist okay? Soll ich noch irgendwas für Arts Party mitbringen? Kann’s kaum erwarten, mehr zu hören – wann hast du die Einladungen verschickt? Meine erwartet mich wahrscheinlich schon zu Hause – oder bin ich nicht auf deiner Liste?! Nur Spaß. Wen hast du fürs Catering? Was hast du für die Musik geplant? Hast du für die Dekorationen ein bestimmtes Thema, oder hältst du das eher traditionell? Was für eine Torte hast du bestellt? Gibt es eine Überraschung, über die ich besser schweigen sollte?
Etc., etc. Ich mache mich daran, ihr zu antworten, scheitere aber schnell bei dem Versuch, Morgan schriftlich auseinanderzusetzen, dass ihre Ansichten über die Partyvorbereitungen meilenweit von den geringen Ansprüchen entfernt sind, die in unserer Ecke von Nord-London allgemein als adäquat angesehen werden.
Aus Ärger antworte ich nur, dass ich sie in zwei Tagen sehen werde, krieche aufs Sofa und nehme mir vor, in den nächsten zehn Minuten im Kopf eine Einkaufsliste zusammenzustellen. Hummus, Oliven, Pitta … vielleicht könnte ich ja als Motto die geschmacklosen Siebzigerjahre ausrufen, mit Krabbenbrötchen oder kleinen Plastikspießen mit Käse und Ananas … Aber meine Gedanken arbeiten in einer Endlosschleife durch, was mir Lucy O’Donnell erzählt hat.
Ihre Worte schwimmen in meinem Kopf herum.
Beth lebt. Ihr Mann wusste Bescheid.
Draußen ist es hell und frisch und klar. Ein früher Frühlingstag, wie ich ihn normalerweise liebe. Heute allerdings berührt er mich nicht. Heute kann ich keinen geraden Gedanken fassen. Kann überhaupt nicht denken. Die Frau hat gelogen … eine Betrügerin … das ist die einzig mögliche Erklärung. Art würde, ja könnte an einer solchen Lüge niemals beteiligt sein.
Und doch stehlen sich Zweifel in mein Bewusstsein. Könnte etwas von dem, was mir O’Donnell erzählt hat, wahr sein?
Das Telefon klingelt. Und obwohl ich den Anruf erwartet habe, schrecke ich hoch. Ich greife nach dem Hörer neben dem Sofa.
»Gen?« Art klingt sehr besorgt. »Ist alles in Ordnung?«
»Oh, Art.« Ich spüre, wie mir schon beim Klang seiner Stimme die Tränen kommen.
»Hen hat gerade bei mir angerufen«, sagte Art. »Sie hat mir erzählt von … dieser Frau …« Er spuckt das Wort geradezu
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