Seit du tot bist: Thriller (German Edition)
Hintergrund eine Frauenstimme. Sie hat einen leichten französischen Akzent. Ob Art mitkommen möchte. Art legt die Hand auf die Sprechmuschel.
»Okay, Sandrine, klar.« Er klingt befangen. Ganz untypisch. Dann ist er wieder dran. »Ich muss jetzt leider los, Gen. Ich hätte schon vor zehn Minuten in der nächsten Besprechung sein sollen.«
»Schon okay«, sage ich.
»Bist du dir sicher? Frag doch Hen, ob sie vorbeikommen kann, oder Sue, oder …«
»Mir geht’s bestens, Art, ehrlich.«
Wir verabschieden uns, und ich rolle mich auf dem Sofa zusammen. Erinnerungen, die ich lange zurückgehalten habe, bestürmen mich. Wie leicht ich damals mit Beth schwanger wurde – nur wenige Monate, nachdem ich die Pille abgesetzt hatte. Wie glücklich Art war, als ich es ihm erzählte; das bübische Funkeln in seinen Augen werde ich nie vergessen. Wie müde ich war, und wie ich das Ganze erst in dem Augenblick wirklich glauben konnte, als ich Beth im Ultraschall am Daumen nuckeln sah. Dass sie ein Mädchen war, wusste ich da natürlich noch nicht; ich hatte gefragt, aber sie sagten, in der Lage sei das nicht zu erkennen. Wie ich ihr dieselben Lieder vorsang, die mir schon mein Vater vorgesungen hatte. Wie sie mit den Füßen trat, wenn ich in der Wanne lag, und Art und ich wie gebannt – und etwas erschrocken, wie wir uns lachend eingestanden – auf den sich bewegenden Bauch starrten.
Am Tag der Reise nach Oxford zu dem Haus, das wir für den letzten Monat gemietet hatten, war ich meinen Hormonen völlig ausgeliefert gewesen, weinte über die andere Umgebung, hatte Angst, mich nicht eingewöhnen zu können, und wünschte, wir hätten das vertraute Umfeld von London und unser örtliches Krankenhaus nicht verlassen. Aber das Haus war einfach entzückend und Dr. Rodriguez so vertrauenerweckend, dass ich mich schon Stunden nach der Ankunft wieder geborgen fühlte.
Ich springe in Gedanken zum 11. Juni, dem Schicksalstag. Ich hatte mich den ganzen Tag benommen und kaputt gefühlt, und das Baby hatte sich seit Stunden nicht bewegt. Zuerst war ich nicht sonderlich beunruhigt – ich war in der 37. Woche und ihre Bewegungen hatten sich verlangsamt. Doch Art war unruhig. Nervös. Er versuchte, sich nicht anmerken zu lassen, wie besorgt er war, schlug aber immer wieder vor, ich solle ins Krankenhaus gehen und mich untersuchen lassen. Meine letzte Ultraschalluntersuchung lag einige Wochen zurück, doch Dr. Rodriguez sagte, er könne mich am späten Nachmittag einschieben. Wir kamen etwas zu früh dort an und schlenderten durch die Geburtshöhle, die an diesem Tag nicht belegt war. Sie war – ist – ein wirklich erstaunlicher Raum in Form einer Gebärmutter, der ganz nach Wunsch verschiedene natürliche Umgebungen nachbilden konnte. Auf Knopfdruck brachen sich Wellen am Strand, oder man stand auf einer Waldlichtung oder in einer weiten Wiesenlandschaft. Gegen Aufpreis spielte das System sogar eigene Filmaufnahmen – mit passenden Geräuschen und Gerüchen. Es gab ein Geburtsbecken, einen weich gepolsterten Boden mit verstellbarer Neigung und Kissen und Polster in allen Größen und Beschaffenheiten. Ich bin ganz still geworden und hoffte nur, dass ich dort gebären würde. Art und ich waren uns schnell einig: Das Becken sollte es sein, ringsum der Film mit dem Ozean und darüber ein funkelnder Sternenhimmel. Beide liebten wir das Rauschen der Wellen und die warme, salzig duftende Brise am Strand.
Noch immer benommen und zunehmend besorgt, weil sich das Baby jetzt seit Stunden nicht mehr bewegt hatte, ging ich mit Art hinüber zum Hauptgebäude zu meiner Untersuchung. Dr. Rodriguez bat mich, kurz zu warten; mit dem Ultraschallgerät in seinem Zimmer gäbe es ein kleines Problem. Wir mussten dann zwei Stunden warten, bis ein anderes Gerät frei war. Der Himmel hatte sich inzwischen zugezogen. Art war unruhig und besorgt. Und dann war Dr. Rodriguez wieder bei uns. Da die Röntgenassistentin schon gegangen war, nahm Dr. Rodriguez die Untersuchung persönlich vor. Ich weiß noch, wie er auf den Bildschirm starrte, mit sorgenvoller Miene. Wie er sich zu uns umdreht und erklärt, dass es ihm furchtbar leidtut. Dreimal muss er es wiederholen, bis ich begreife, was er sagt: dass unser Baby in der Gebärmutter gestorben ist.
Art und ich waren verzweifelt. Dann setzte sich Art dafür ein, den Fötus so bald wie möglich per Kaiserschnitt zu entfernen. Ich hätte seit Stunden nichts gegessen, sagte er, und es gäbe keinen Grund, die
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