Seit du tot bist: Thriller (German Edition)
Operation nicht sofort vorzunehmen. Der Arzt hielt dagegen, ich bräuchte zumindest ein paar Stunden, besser einige Tage, um den Schock zu verarbeiten. Art wollte davon nichts wissen. Ich weiß gar nicht, ob ich dazu überhaupt eine Meinung hatte. Ich war wie betäubt und ließ mich durch Arts Wut und Entschlossenheit mitreißen.
Der Arzt riet, das Kind auf natürlichem Weg auszutragen, aber wir bestanden alle beide auf einem Kaiserschnitt. Art war kaum zu halten, und ich war dankbar, dass sich jemand so für meine Sache einsetzte.
Jetzt frage ich mich allerdings, warum er damals so kompromisslos war.
Wir wechselten von der behaglichen Welt der Behandlungsräume in die antiseptische Edelstahlumgebung des Operationssaals. Vor der Vollnarkose hatte ich solche Angst, dass mir die Hände zitterten. Ich weiß noch, wie Art seine warmen Finger darum legte und die wunde, angekaute Haut um meine Nägel verbarg, mit feucht schimmernden Augen.
»Ich bin da, Gen«, hatte er gesagt. »Alles wird gut.«
Dann die Stille, als ich im Aufwachzimmer langsam wieder zu Bewusstsein kam. Die Lider so schwer, dass ich sie kaum heben konnte. Wie ich versuche, die Uhr an der Wand abzulesen, und mich frage, wo ich für den Bruchteil einer Sekunde gewesen bin. Dann sehe ich eine Schwester mit abgewandtem Gesicht vor dem Zimmer vorüberhuschen. Ich wende den Blick minimal zur Seite. Art sitzt am Bett, beugt sich über mich, das Gesicht von Schmerz zerfurcht. Kein Baby. Kein Baby. Dr. Rodriguez kommt heran … ein Umriss nur, hinter Art …
»Wir haben sie verloren, es tut mir so leid«, sagt Art, und bei seinen Worten komme ich ins Trudeln und stürze ins Dunkel.
Danach ist alles verschwommen. Ich erinnere mich an den Blick aus dem Fenster – die Äste einer Trauerweide, die wie Fransen auf den Rasen herabhängen, die Glaskuppel des Gebärraums etwas entfernt, die mich an die Wehen erinnert, auf die ich gehofft hatte. Wie ich stundenlang den Baum anstarre, den Rasen und die Glaskuppel und zu begreifen versuche, was geschehen war. Dr. Rodriguez, der einen Verdacht äußert, der sich nach Beths DNA -Test bestätigen wird – dass sie einen Chromosomendefekt hatte. Wochen später erfuhren wir Genaueres. Trisomie 18, ein zufällig auftretender, nicht erblicher Gendefekt, der verschiedene Ausprägungen haben kann. Meine Beth hat er umgebracht, bevor sie zur Welt kam.
Tagelang war ich abgestumpft, bis lange nach Beths Trauerfeier und den Testergebnissen. Dann machte sich allmählich und verstohlen Trauer in mir breit. Ein Monster, dass mich in meinem Kopf angriff, wo niemand, weder Art noch Hen noch Mum, mir helfen konnten. Und mit der Trauer kam die Wut. Die unsinnige Wut auf ganz normale, nette Menschen mit Babys und auf wohlmeinende Frauen, dir mir helfen wollten, indem sie mir von ihren Fehlgeburten erzählten.
Unfassbar, unkontrollierbar durchdrang mich der Schmerz, wurde nach und nach Teil meines Lebens, wurde in meine Wirklichkeit aufgesogen. Darüber hinwegkommen wollen und Beth dennoch nicht zurücklassen. Kein Baby. Kein Bücherschreiben. Nur treiben lassen. Schon seit acht Jahren.
Ich stehe vom Sofa auf. Es ist noch immer früh am Nachmittag. Art wird erst am Abend zurückkehren. Ich gehe unschlüssig in die Küche, habe aber keinen Appetit und wandere weiter. Je länger der Nachmittag dauert, desto mehr beschleichen mich wieder Zweifel.
Ich schlendere im Haus herum und kann mich zu nichts entschließen. Schließlich bin ich wieder ganz oben, in Arts Büro. Ich will nicht herumstöbern, aber irgendwas treibt mich dazu. Wenn wir noch Unterlagen über meinen Aufenthalt im Fair Angel haben, dann müssen sie in diesem Zimmer sein.
Ich stehe in der Tür und sehe zum großen Schreibtisch, den Regalen und Aktenschränken. Licht fällt in Streifen auf die Dielen. Ich weiß noch nicht einmal, wonach ich eigentlich suche. Nach der Totgeburt hat Art alles für mich erledigt, die nötigen Formulare unterschrieben. Damals war ich froh darüber, aber im Rückblick hat das damals die Richtung für die folgenden Jahre vorgegeben – dass Art immer mehr bestimmte, wer und was er war, während ich nur weitertaumelte. Es grenzt an Ironie, wie die Gegensätze, die uns zusammengebracht haben – Arts Energie und Zielstrebigkeit, meine Kreativität und, wie er es sah, Unberechenbarkeit –, uns seit Beths Tod in parallelen Bahnen weitergetrieben haben.
Auf dem Weg um den Schreibtisch knarren die Dielen. Die muss neu verlegt werden – schon seit
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