Seit du tot bist: Thriller (German Edition)
mit der Telefonnummer und der Adresse des Fair Angel. Das Rauschen im Bad verstummt. Ich zögere eine Sekunde, und aus Gründen, die ich mir selbst nicht eingestehe, schiebe ich Tapps Brief und die Visitenkarte dort, wo ich sitze, unter die Matratze. Alles andere lege ich wieder in die rote Schachtel, setze den Deckel darauf und schiebe sie weit von mir.
Eine Minute später kommt Art aus dem Bad. Er hat ein Handtuch um die Hüfte gebunden und kommt ans Bett. Manchmal treibt er an den Wochenenden noch Sport, aber die Muskeln an seinen Armen sind nicht mehr so ausgeprägt wie früher – und ein leichter Bauchansatz ist auch nicht zu übersehen. Wir werden beide älter. Manchmal kann ich die Zeit als Naturgewalt fast spüren, wie sie unerbittlich der Zukunft entgegenrast, Art in wildem Ritt dabei, während ich von außen zusehe und nicht aufspringen kann.
»Und? Gefunden, was du gesucht hast?« Er klingt immer noch gekränkt.
»Ja.« Ich zögere. »Hast du mal nachgesehen, wofür diese MDO -Überweisung war?«
»Nein«, stöhnt er. »Das habe ich vergessen, aber ich weiß, dass es irgendein Geschäftskredit war. Nur an die Einzelheiten kann ich mich nicht erinnern.«
»Schon gut.« Ich frage mich, ob das wirklich stimmt. Art vergisst sonst niemanden, mit dem er Geschäfte gemacht hat.
»Aber wenn du mal Zeit hast …«, sage ich unbestimmt. »Danke, dass du die Sachen für mich herausgesucht hast.«
Er nickt, schnappt sich die Schachtel und bringt sie wieder hinauf in sein Büro. Dann kommt er zurück und lässt sich aufs Bett fallen.
»Ich bin kaputt.« Er seufzt, greift nach dem Handy und sieht seine E-Mails durch. Loxley Benson ist weltweit tätig, da versuchen Leute zu jeder Tages- und Nachtzeit, ihn zu erreichen.
Ich stehe auf. Es ist kalt im Haus, die Heizung ist schon aus. Ich ziehe mir ein paar dicke Socken an und trotte nach unten. Lucy O’Donnells Handynummer ist immer noch in meiner Manteltasche. Ich nehme sie heraus und schleiche in die Küche. Ich bleibe an der Tür stehen und lausche. Oben ist nichts zu hören. Art ist bestimmt noch mit seinen E-Mails beschäftigt.
Ich streiche den Zettel glatt und starre auf Lucys Schrift. Die sorgfältig geschriebenen Zahlen sehen nicht nach Hochstaplerin aus, eher schon nach Grundschullehrerin. Ich zögere. Ich weiß nicht, warum ich noch einmal mit ihr sprechen möchte. Ich weiß nicht einmal, was ich ihr sagen soll. Ich weiß nur, dass ich nicht loslassen kann, wie Art das von mir erwartet. Wenn ich die Sache weiterverfolgen will, brauche ich jedenfalls alle Informationen, die ich bekommen kann. Angenommen, auch nur etwas von Lucys Geschichte ist wahr. Nicht der Verdacht natürlich, dass Art darin verwickelt sein könnte, aber Babys können doch gestohlen werden, oder? Und wenn sich eine Idee erst einmal im Kopf festgesetzt hat, kann man sie nicht so einfach wieder hinauswerfen. Dann muss man sie bis zum Ende verfolgen.
Ich gehe lautlos und ohne das Licht anzuschalten durch die Küche und weiter in den Hauswirtschaftsraum. Meine Hände zittern, ich hole tief Luft und wähle Lucys Nummer. Sie ist nicht erreichbar. Ich kann noch nicht einmal eine Nachricht hinterlassen. Ich warte ein paar Minuten und versuche es zur Sicherheit noch einmal. Wieder nichts. Vielleicht ist das ja gut so. Das wäre der Beweis, den ich brauche, dass die Frau eine Aufschneiderin war. Verrückt. Oder selbst getäuscht.
Ich speichere die Nummer in meinem Handy und werfe den Zettel in den Abfall. Als ich in den Flur trete, höre ich wieder das Knarren der Dielen im zweiten Stock. Ich bleibe sofort stehen. Mein Puls rast. Ist Art noch einmal hinaufgegangen? Hat er mich mit meinem Handy hier unten gehört? Ist er deswegen noch einmal in sein Büro hinauf?
Ich warte ein paar Sekunden. Keine Geräusche von den Dielen mehr zu hören. Ich gehe wieder hinauf ins Schlafzimmer. Art liegt auf dem Bett, genau wie zuvor. Er schaut herüber. »Was gibt’s?«
»Nichts.« Ich blicke mich um. Ich bin nervös. »Warst du noch mal oben im Büro?«
Er schüttelt den Kopf und wendet sich wieder seinem Handy zu.
»Ach.« Mein Herz setzt für einen Moment aus. Warum in aller Welt sollte er mich deswegen anlügen? »Ich dachte, ich hätte die Dielen knarren hören.«
»Diese Dinger?« Er hebt verächtlich eine Augenbraue. »Diese verdammten Dinger führen wahrlich ein Eigenleben. Wolltest du sie nicht dieses Jahr neu verlegen lassen?«
Ich verziehe das Gesicht, er grinst und tätschelt die
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