Seit du tot bist: Thriller (German Edition)
unbehaglich. Denkt sie, dass ich mich Art gegenüber unfair verhalte? Hat ihr sarkastischer Tonfall etwas damit zu tun, was sie gerade am Telefon über mich gesagt hat – ich lasse »es nicht auf sich beruhen«?
Hen bleibt mein Unbehagen nicht verborgen. »Tut mir leid, Gen«, sagt sie und wedelt mit der Hand, als wolle sie die Spannung zwischen uns ins nächste Zimmer befördern. »Kann ich noch etwas tun?«
Ich blicke mich um. Es ist schon fast fünf Uhr, und ehrlich gesagt würde ich das restliche Essen gerne alleine vorbereiten. Hen hat eine Quiche mitgebracht, und auch andere Gäste wollen Gerichte mitbringen, sodass ich eigentlich nur noch eine Pavlova und eine Schwarzwälder Kirschtorte fertigstellen muss – ich habe dem Siebzigerjahre-Motto dann doch nicht widerstehen können. Außerdem hinterlässt Hen in der Küche immer ein Riesenchaos, und ich spüre noch immer eine Distanz zwischen uns wie seit dem ersten Jahr nach Beths Tod nicht mehr.
»Alles bestens«, sage ich. »Eigentlich muss ich nur noch ein paar Dips machen … und falls noch etwas Großes anfällt, dann kann Morgan mir ja helfen.«
»Stimmt. Genau.« Sie verdreht die Augen. »Aber pass bloß auf, dass sie sich keinen Nagel einreißt.«
»Sschhh!« Ich muss grinsen.
»Och, du weißt doch, dass ich Morgan mag«, sagt Hen und ist auf dem Weg zur Tür. Und wie zum Beweis ruft sie die Treppe hinauf: »Tschüss, Morgan«, aber es kommt keine Antwort.
»Ich glaube, sie ist gerade im Bad«, erkläre ich.
»Bin ja gespannt, was sie anhat«, schnurrt Hen. Sie deutet auf den Pelzbesatz auf Morgans schwarzer Kostümjacke, die noch immer über dem größeren Koffer hängt. »Wie viele Tiere wohl dafür mit dem Leben bezahlt haben?«
»Sschhh!«, schelte ich noch einmal und schiebe sie zur Tür hinaus.
Ich gehe zurück in die Küche und mache mich an die Torte. Bevor ich mich recht versehe, ist es sechs, und ich dekoriere Platten mit Schinken und Oliven, bin fix und fertig und sehne mich nach einem Bad, als Morgan auftaucht. Sie starrt auf meine ausgefransten Fingernägel. Ich sehe mein Spiegelbild in der Kühlschranktür. Himmel, ich sehe noch schlimmer aus als bei ihrer Ankunft. Ich habe noch immer die Jogginghosen und das T-Shirt von heute Morgen an, mein Haar türmt sich wirr auf meinem Kopf, und meine Wange ist mit Kirschkonfitüre bekleckert.
»Wie läuft’s denn diesmal mit der künstlichen Befruchtung?«, fragt Morgan, die Hände hinter dem Rücken verschränkt. »Ich bin so froh, dass du’s noch mal in Angriff nehmen willst.«
Ich bin wie vor den Kopf gestoßen, will es mir aber nicht anmerken lassen. Sie weiß nicht zum ersten Mal mehr über mein Leben, als ihr zukommt. Schon immer hat Art mit ihr über unsere Beziehung gesprochen; mit Sicherheit hat sie damals als Erste von unserer Verlobung erfahren, und ich weiß, dass er ihr schon vor Jahren von unseren vergeblichen Bemühungen um eine künstliche Befruchtung erzählt hat. Inzwischen macht mir das nichts mehr aus. Je älter ich werde, desto mehr wird mir klar, wie wichtig die Familie ist, und seit dem Tod seiner Mutter sind Morgan und ihre Brüder alles, was Art noch an Familie hat. Morgan mag alle Fakten unserer Beziehung kennen, aber ich bin mir sicher, dass Art nur selten Auskunft über seine Gefühle gibt.
»Wir denken noch immer darüber nach«, antworte ich vage und, hoffentlich, mit einem Ausdruck von Endgültigkeit.
»Prima.« Morgan zögert kurz und streckt dann die Hand aus. In ihrer Hand hält sie ein kleines silbernes Päckchen. Sie macht drei Schritte auf mich zu und reicht es mir. »Ich weiß, eigentlich ist es ja Arts Geburtstag, aber ich wollte dir das geben.« Sie errötet ein wenig, zieht die Schultern ein und nimmt wieder Abstand.
»Äh … vielen … Dank«, stottere ich. Es ist ein kleines Kästchen mit einer silbernen Schleife. Ich ziehe am Band, und es löst sich in meiner Hand. Ich schiele zu Morgan und klappe den Deckel auf. Ausnahmsweise wirkt sie unsicher, ja fast ängstlich.
Das Etui enthält einen silbernen Schmetterlingsanhänger samt kurzem Armband. Ich nehme ihn heraus. Er ist schlicht und wunderschön. Auf einem Flügel glitzern, ineinander geschlungen, die Buchstaben A und G.
»Es ist Weißgold mit Brillanten«, sagt Morgan. »Ich habe das für dich und Art anfertigen lassen.«
»Es ist entzückend«, hauche ich und bestaune das Armband aufs Neue. »Oh, Morgan.«
Ich bin überwältigt. Wieder typisch, dass meine äußerlich so schroffe,
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