Seit du tot bist: Thriller (German Edition)
ist sie eben. Selbst wenn sie lieb und freundlich sein will, wirkt sie herablassend. Dass sie andere Menschen damit ständig verunsichert, ist meiner Ansicht nach zumindest teilweise der Grund, weshalb es bei ihr mit ihren fast zweiundvierzig Jahren bislang kein Freund länger als drei Monate ausgehalten hat.
»Ich bin gerade erst aufgewacht«, erkläre ich. »Ich habe nicht gut geschlafen.«
»Ach, nein!«, sagt sie besorgt. »Das tut mir wirklich leid, aber ich habe mich ja angekündigt …«, sie blickt auf ihre elegante, mit Brillanten besetzte Armbanduhr, »… es ist ja schon nach zehn.«
»Ich weiß«, sage ich und ziehe die Jacke enger um mich. Auf dem Revers entdecke ich einen Eifleck. Super.
»Und wie läuft’s mit den Vorbereitungen für die Party?«, fragt sie und tritt in den Flur. Sie wirft einen Blick auf ihre Koffer, die noch immer vor der Tür stehen.
Bei Morgan zu Hause in Edinburgh, in ihren Ferienhäusern auf Martha’s Vineyard und in der Toskana wie auch in allen schicken Hotels, in denen sie normalerweise verkehrt, stehen natürlich immer genügend Männer zur Verfügung, die ihr mit den Koffern behilflich sind.
»Das läuft alles gut.« Ich zerre ihre beiden Koffer in den Flur. Art kann sie dann später hinaufschleppen.
Den ganzen Tag über habe ich Beklemmungen, so als wäre da ein Knoten in meiner Brust, aber ich habe keine Zeit, an all das zu denken, was mich während der Nacht wach gehalten hat. Morgan – die behauptet, mir nur helfen zu wollen – kommt ständig mit neuen Forderungen: »Hast du denn keinen Saft ohne Fruchtfleisch?« … »Ich will mich ja nicht einmischen, aber glaubst du, dass du wirklich genügend Kanapees bestellt hast?« … »Da sind ja gar keine Beutel mit Eiswürfeln in deinem Gefrierschrank; sollten wir noch welche kommen lassen?« … »Könntest du mir zeigen, wo bei euch die Handtücher sind? Es tut mir leid, aber ich kann das nicht nehmen, das du mir gegeben hast. Meine Haut ist furchtbar empfindlich« …
Zu allem Übel klingelt ständig das Telefon. Meistens sind es Bekannte, die wegen der Party nachfragen – wann sie kommen oder ob sie etwas mitbringen sollen. Ich verziehe mich ins Wohnzimmer, wo sich Weinkartons bis an die Decke stapeln, und versuche, mich zu entscheiden, was ich anpacken soll und in welcher Reihenfolge.
Etwa gegen drei verschwindet Morgan nach oben, und kurz darauf schaut Hen vorbei. Nat ist zum Spielen bei einem Freund, sodass Hen mir für eine oder zwei Stunden bei den Vorbereitungen helfen kann. Während ich mich auf die Suche der Lichterkette mache, die ich über den Wohnzimmerspiegel drapieren will, geht Hen pflichtschuldigst in die Garage, wo sie eine Megapackung Chips aus dem Vorrat holen soll. Sie kommt nicht wieder. Nach zehn Minuten mache ich mir ernsthaft Sorgen, sie könnte über die Gartenmöbel oder sonst etwas in der Garage gefallen sein und sich verletzt haben, also gehe ich nachschauen.
Ich kann sie hören, bevor ich sie sehe. Sie ist nur bis zum Hauswirtschaftsraum gekommen und telefoniert – leise und eindringlich.
»Ich weiß, dass sie meine beste Freundin ist«, sagt sie. »Aber sie lässt es einfach nicht auf sich beruhen.« Ich erstarre. Ihr Tonfall ist eine Mischung aus Mitleid und Ärger. » Natürlich habe ich versucht, mit ihr zu reden.« Wieder eine Pause. »Nein, noch nicht.«
Ich bin erst verwirrt, dann wütend und beschämt. Mehr will ich nicht hören und rufe: »Hen?«
Aus dem Hauswirtschaftsraum dringt noch leises Flüstern, dann taucht Hen wieder auf. »Entschuldige.« Sie verdreht die Augen. »Ich bin abgelenkt worden.«
Ich mache den Mund auf, um sie zur Rede zu stellen, schließe ihn aber wieder. Mit wem hat sie nur gesprochen? Mit Art? Ich will nichts davon wissen.
Als sie in die Küche kommt, verhalte ich mich reserviert, aber sie plappert munter drauflos, als sei nichts gewesen. Wir verteilen die Chips, die sie aus der Garage geholt hat, auf Schüsseln und hängen zusammen die Lichterkette auf. Danach verschwinde ich in die Küche. Hen bestückt und verteilt überall Kerzenhalter und stellt dann die Wohnzimmermöbel um, damit wir mehr Platz »zum Tanzen« haben.
Als ich das sehe, muss ich lachen. Ich weise darauf hin, dass Art nichts so sehr verabscheut wie Tanzen.
Hen verdreht die Augen. »Denk nicht so negativ«, sagt sie betont munter, aber ich spüre trotzdem einen scharfen Unterton. »Ich bin mir sicher, dass er tanzen wird, wenn du ihn darum bittest.«
Mir ist
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