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Seit du tot bist: Thriller (German Edition)

Seit du tot bist: Thriller (German Edition)

Titel: Seit du tot bist: Thriller (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sophie McKenzie
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schleift am Boden. Sie strahlt den Oberkellner an, der sie nachsichtig lächelnd an unseren Tisch führt.
    Hen, wie sie leibt und lebt. Attraktiv und chaotisch. Von außen. Ihr Verstand ist rasiermesserscharf.
    »Tut mir leid, Gen«, japst sie. »Ich bin bei Cath Kidston hängen geblieben.«
    Ich kann mir ein Lächeln nicht verkneifen. Wenn man Hen in einem Satz beschreiben müsste, dann mit diesem. Immer verspätet und mit einer Schwäche für Mädchenschnickschnack. Bis zu ihrer Hochzeit mit Rob im vorigen Jahr hatte sie praktisch nie Geld, hat aber trotzdem ständig welches ausgegeben. Ich weiß gar nicht mehr, wie oft ich mit ihr in einem Laden war und man ihr an der Theke die überzogenen Kreditkarten zerschnitten hat. Ihre Zwanziger hat sie in einer langen Folge von Kurzzeitjobs vertändelt, die sie nur dank ihres Charmes und Verstands nicht noch schneller hatte wechseln müssen. Unpassende Partner waren auch eine Spezialität von ihr – bettelarme Herumtreiber mit einem gewinnenden Lächeln und ausgeprägter Beziehungsschwäche. Keiner ihrer Bekannten war überrascht, als sie mit Nat schwanger wurde und der Vater sich aus dem Staub machte, sobald er davon erfuhr.
    Rob dagegen war eine Überraschung. Er ist zehn Jahre älter als sie und Banker – eine Brut, die Hen in jüngeren Jahren sofort an die Wand gestellt und erschossen hätte. Rob ist so bodenständig wie Hen flatterhaft, und wenn ich auch glaube, dass sie ihn liebt, so bin ich ebenso davon überzeugt, dass sie seinem Geld nicht abgeneigt ist.
    Doch wie meine Mutter nicht müde wird, mir auseinanderzusetzen: Die Beziehungen anderer Leute kann man niemals wirklich verstehen. Und im Grunde war Hen in den vergangenen anderthalb Jahren viel leichter zu ertragen, jetzt, wo sie ihren extravaganten Stil ausleben darf, ohne sich um die entstehenden Kosten sorgen zu müssen.
    Hen ist in Topform. Eine volle halbe Stunde lang erwähnt sie Lucy O’Donnells Besuch mit keiner Silbe. Alles dreht sich um irgendeinen lustigen Verkäufer bei Cath Kidston und einige drollige Ausdrücke, die Nathan zum Besten gegeben hat. Auch ich versuche, nicht an O’Donnell zu denken, aber hinter allem, was ich sage und denke, lauern ihre Worte wie ein dunkler Schatten.
    »Alles okay, Gen?«, fragt Hen schließlich und streicht ihr Top glatt. Es sieht teuer aus, ist weit ausgeschnitten, mit winzigen Knöpfen aus Saatperlen. Sie mustert meine angekauten Fingernägel und die ausgefranste, gerötete Nagelhaut, und ich lächle, weil ich weiß, dass sie auf diese Weise mein Befinden einschätzt.
    Ich erzähle ihr, wie wütend Art vergangenen Abend geworden war und auch von der Überweisung an MDO . Ich komme mir dabei treulos vor, aber es beschäftigt mich eben, und vor Hen kann ich meine Sorge nicht verbergen – dazu ist sie viel zu aufmerksam.
    »Das waren 50 000 Pfund, Hen. Das ist doch eine gewaltige Summe für ein Privatkonto, oder etwa nicht?«
    Hen zuckt mit den Schultern. »Aber Art sagt doch, es sei nicht privat gewesen«, wendet sie ein. »Für eine Firma sind 50 000 heutzutage nicht mehr viel Geld. Rob schiebt auch ständig Geld zwischen verschiedenen Konten hin und her. Und dass Art außer sich war, weil diese Frau bei dir aufgetaucht ist, wundert mich gar nicht. Rührt die ganzen alten Geschichten wieder auf – das wird für euch beide noch eine Menge Stress geben.«
    Ich antworte nicht. Beth ist das Einzige, worüber ich mit Hen noch nie gut sprechen konnte. Wir waren ja gleichzeitig schwanger, wenn auch unter völlig verschiedenen Vorzeichen, aber wir hatten einen Haufen Pläne für unsere gemeinsame Zukunft als Mütter. Nathan kam eine Woche vor Beth zur Welt. Seinetwegen verpasste Hen die Trauerfeier. Ich weiß, dass sie deswegen ein schlechtes Gewissen hatte, aber sie wollte ihr Baby nicht allein lassen und ersparte mir außerdem den Anblick eines Neugeborenen, den ich kaum ertragen hätte. Beide litten wir darunter, getrennt zu sein in einem Moment, in dem wir uns vielleicht am dringendsten gebraucht hätten. Während der folgenden zwölf Monate sahen wir uns weniger als in den vorangegangenen Jahren. Das war zugegebenermaßen nicht Hens Schuld. Aber ich konnte ihr und Nathan für eine lange Zeit einfach nicht gegenübertreten. Ich hatte natürlich ein schlechtes Gewissen, aber Hen konnte das verstehen und hat es mir nie vorgeworfen.
    Doch obwohl wir das nie ausgesprochen haben, ist uns beiden klar, dass es mir noch immer schwerfällt, sie als Mutter zu sehen –

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