Seit du tot bist: Thriller (German Edition)
stimmt.«
Wir schweigen betreten.
»Was war denn der andere Mist, von dem du gesprochen hast?«, versuche ich den Faden wieder aufzunehmen.
Lorcan reißt die Augen dramatisch auf. »Weibermist.« Er lacht.
»Ach ja?«
»Sicher. Ich wurde Vater, was nicht geplant war. Überhaupt nicht.«
Ich schiele auf seine linke Hand. Kein Ehering.
»Und wer ist das?« Lorcan deutet auf ein Foto im Regal rechts neben dem Sofa. Es ist eins von meinen Lieblingsbildern von meinem Vater als Junge – sein Gesicht aus der Nähe: dunkle Strähnen fallen ihm in die Stirn, gefühlvolle Augen und dann dieser ausdrucksvolle Mund mit der volleren Oberlippe, auseinandergezogen zu einem entschlossenen Lächeln.
»Das ist mein Dad«, sage ich. »Er starb, als ich noch ein Kind war.«
»Wie meine Mum«, vertraut mir Lorcan an. »Na ja, ich war siebzehn. Krebs.«
Wir sehen uns für eine Sekunde an, vereint durch das unsichtbare Band, dass alle Kinder einschließt, die ihre Eltern zu früh verloren haben.
Lorcan lehnt sich wieder zurück. »Was machst du, wenn du nicht schreibst?«
Ich hasse diese Frage. Ich mag sie nicht beantworten. Ich möchte Lorcan nach seinem Kind fragen, und wie es mit dem Weibermist ausgegangen ist. Und ob er jetzt mit jemandem zusammen ist. Stattdessen hebe ich die Schultern, lasse sie wieder fallen und komme mir bescheuert vor. Während ich antworte, gieße ich mir das Weinglas wieder voll.
»Es gibt nichts anderes, das ich tun möchte. Gott, was hört sich das jämmerlich an. Ich meine, ich lehre dann und wann ein bisschen kreatives Schreiben, und ich weiß, dass ich froh sein kann, dass Art … dass ich nicht meinen Lebensunterhalt damit bestreiten muss … Es ist nur … das Schreiben ist von allem, was ich je gemacht habe, das Einzige, das sich authentisch angefühlt hat. Weißt du, ›wirklich‹. Das Richtige. Das, wozu ich bestimmt bin.«
Wie hochtrabend das klingt! Verlegen stürze ich meinen Wein hinunter.
Aber Lorcan nickt. »Das verstehe ich.«
Trotz der Musik hört man lautes Klirren. Ich wende den Kopf und sehe gerade noch, wie Morgan ihren Rock anstarrt; vor ihren Füßen liegt das Rotweinglas. Wie durch ein Wunder ist es nur in zwei Teile zerbrochen, am Stiel. Der Mann neben ihr schwankt leicht, blickt schuldbewusst. Ein Kunde von Art. Er ist Mitte bis Ende fünfzig, mit rotem Gesicht und unterlaufenen Augen.
»’tschuldigung«, lallt er. »Tut mir leid. Hups – habe ich Ihr Kleid erwischt?« Er beugt sich hinunter und versucht, Morgan den Wein vom Rock zu wischen.
Sie weicht zurück.
»Kein Problem«, sagt sie spitz.
Ich sehe zu Art hinüber. Er verdreht die Augen. »Ich hole ein Tuch.«
Art und Morgan gehen zusammen in die Küche, und ich überlege, ob ich nicht zu dem betrunkenen Kunden gehen und mich mit ihm unterhalten sollte. In einer Sekunde, vielleicht. Stattdessen trinke ich noch einen Schluck und wende mich wieder Lorcan zu. Er sieht Morgan und Art nach.
»Morgan ist unglaublich«, sage ich. »Sie hat den ganzen Raum beackert, den ganzen Abend.«
Lorcan zuckt die Achseln. »Sie mag mich nicht. Auch schon beim ersten Mal nicht.«
Ich weiß nicht, was ich sagen soll.
Lorcan grinst. »Hey, ich bin eben nicht jedermanns Sache.«
»Genau das hat Art heute Abend auch schon über dich gesagt.« Ich lächle. »Was hast du denn angestellt, dass Morgan dich nicht mag?«
»Sie war der Meinung, ich hätte einen schlechten Einfluss auf Art«, erwidert Lorcan. »Was möglicherweise stimmt, muss ich fairerweise zugeben.«
»Er ist ihr sehr wichtig. Die beiden stehen sich wirklich nah. Art und Morgan ähneln sich in vielem.«
»Findest du?«
»Ja.« Ich versuche zu formulieren, wie ich das meine. Art und Morgan sind beide dominant und selbstbewusst, genau wie ich mir ihren Vater vorstelle. Die Ähnlichkeit mit Brandon Ryan ist bei Morgan vielleicht noch stärker ausgeprägt. Was nicht weiter verwunderlich ist. Sie ist von Natur aus herrschsüchtiger als Art und hat nach dem Tod des Vaters die Leitung eines seiner zentralen Unternehmen übernommen: Ryan Insurance Services. Jetzt fliegt sie in der ganzen Welt herum, genau wie es ihr Vater früher getan hat.
Lorcan streicht sich wieder durchs Haar. »Mag sein, dass beide gewohnt sind, ihren Willen zu bekommen, aber Morgan ist viel materialistischer eingestellt. Sie ist wie eine Wiederauferstehung der Legende von Brandon Ryan – alles dreht sich ums Geld. Art dagegen … nun, so wichtig ist ihm das Geld eigentlich gar nicht.«
Ich
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